Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
seiner Stimme war jetzt keine Höflichkeit mehr wahrzunehmen. »Sie arbeiten nicht für diese Leute, Dr. Takara, Sie arbeiten für uns. Die Schuld Ihres Vaters gilt uns.« Sie stand am Ende der Auffahrt und sah zu, wie die dunkle Limousine sich vom Gehsteig löste und ein Stück weiter unten an der Straße schließlich verschwand. Als sie zum Haus zurückblickte, glaubte sie, das Gesicht ihres Vaters im Fenster zu sehen, aber als sie genauer hinsah, war es verschwunden.
Da war sie also, von der vierzig Jahre alten Schuld ihres Vaters an die Yakuza gebunden, gezwungen, sich wegen eines »dringenden Notfalls« von ihrem Forschungsauftrag bei der Universität beurlauben zu lassen. Seit zwei Monaten war sie in diesem sterilen, fensterlosen Labor eingeschlossen. Sie hatte die zweite Nummer bisher nicht anrufen können. Sie wusste nicht, was sie hätte sagen sollen, selbst wenn sie es gekonnt hätte. Wenn sie ihnen die Wahrheit sagte, würden die ihr höchstwahrscheinlich nicht glauben. Und wenn sie es doch taten, könnte das noch schlimmer sein. Die Yakuza würden dieselbe Verwendung für die Vampire – und die Wissenschaftler – haben wie Rooke.
Sie hörte, wie irgendwo in einem der langen, weißen Korridore eine Tür zugeschlagen wurde. »Das sind sie«, sagte Martinez unnötigerweise. Lisa stellte ihre Kaffeetasse weg und trat zu den anderen. Alle fixierten jetzt die Tür.
Jetzt werden wir sehen. Jetzt werden wir sehen, ob diese alten Schreckgespenster, die wir hier studieren sollen, echt sind – oder nur das Produkt einer verrückten Fantasie. Ich hoffe, dass sie echt sind, selbst wenn das jede Regel der Wissenschaft, der Logik und der Vernunft bricht. Ich will nicht diejenige sein, die feststellt, dass sie es nicht sind. Ich will nicht für die Fantasievorstellung eines anderen sterben.
Die Tür öffnete sich.
Zuerst kamen die Laborwächter mit den kalten Augen herein, dann eine dunkelhaarige, dunkel gekleidete Frau und schließlich Rooke. Sie ist so jung, dachte Lisa unwillkürlich. Ihr Gesicht unter dem dunklen Haar war bleich, und der eigenartig scharfe Winkel, den ihre Schultern bildeten, wurde durch die Fesseln aus Leder und Metall erklärt, die sie von den Ellbogen bis hinab zu den Handgelenken banden. Als sie sich bewegte, war ein seltsames Klappern zu hören, und Lisa erkannte, dass man ihr Fußschellen angelegt hatte – sie funkelten bösartig über den schwarzen Strumpfhosen und Schuhen.
Rooke stieß sie nach vorn und hielt ihr das Ultraschallgerät an den Rücken. »Dr. Takara, sie gehört Ihnen.« Seine Stimme klang spöttisch, als er ihr eine Autorität verlieh, die sie nicht besaß. Er beobachtete sie, wartete auf ihre Reaktion, wollte sehen, ob sie sich an die Instruktionen erinnerte, die man ihr erteilt hatte. Sie sah die anderen Wissenschaftler an, aber die starrten alle noch auf die reglose Gestalt, flankiert von den beiden Wächtern.
»Also schön, setzt das Subjekt auf den Stuhl. Wir haben noch dreißig Minuten zur Verfügung, dann dämmert es. Ich möchte bis dahin einen kompletten Satz Proben haben.«
Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann traten Martinez und Hanick vor und ergriffen die Frau an den Armen. Rooke reichte einer der Wachen das Ultraschallgerät. Lisa begegnete einen Moment lang seinem Blick. Ich erinnere mich an alles, Mr. Rooke. Das Subjekt darf nicht mit Namen angesprochen werden, es darf überhaupt nicht mit ihr gesprochen werden. Alle Sicherheitsvorkehrungen sind einzuhalten. Und vergessen Sie nie, dass ich Sie beobachte. Nie. Sie wandte sich dem Untersuchungssessel zu, und ihre Haltung drückte mit jedem Muskel ihre Ablehnung aus.
Sie sah zu, wie Martinez und Hanick die Armfesseln lösten und die Frau, ohne ihre Arme loszulassen, auf den Stuhl schoben. Ursprünglich war es ein ganz gewöhnlicher Zahnarztstuhl gewesen, bis man ihn mit Klappverschlüssen für Handgelenke und Knöchel versehen hatte. Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte er wie ein lächerliches Folterinstrument ausgesehen, und alles in ihr hatte sich dagegen aufgelehnt, jemanden auf diesen Stuhl zu setzen. Nicht einmal die Filme, die Rooke sie anzusehen gezwungen hatte, hatten daran etwas geändert. Er hatte ihnen die Filme an dem Tag vorgeführt, als er endlich erklärt hatte, worin ihre Forschungsarbeit eigentlich bestehen sollte. Besser gesagt, er hatte den Film dazu benutzt, es ihnen klarzumachen, hatte sie alleine in den Videokontrollraum mitgenommen und die ganze erste Stunde
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