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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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die Uhr zu sehen, wenn sie eintrafen … wo auch immer sie hinwollten. Na klar, das wäre auch ganz einfach. Sie trug ja schließlich nur eine Augenbinde und hatte auf dem Rücken gefesselte Hände. Trotzdem musste sie es versuchen.
    Und der Lieferwagen? Sie hatte ihn nur flüchtig zu sehen bekommen, aber selbst wenn sie ihn deutlich gesehen hätte, würde sie nicht mehr als die Farbe wissen. Schade, dass du bei Tonys Vorträgen über Autos nicht besser zugehört hast, sagte sich Ardeth. Und kämpfte gegen das hysterische Gelächter an, das sie in ihrer Kehle aufsteigen spürte. Der Teppich in dem Lieferwagen roch nach verschüttetem Bier und Benzin. Sicherlich ein einmaliger Geruch. Sie konnte die Schlagzeilen förmlich vor sich sehen: »Entführte Frau identifiziert Täter am Geruch.«
    Die Männer. Richtig, sagte sie sich, versuch dich an die Männer zu erinnern. Wie heißt es immer in den Polizeifilmen? Männlich, weiß, Anfang dreißig, einer dunkelhaarig, der andere blond, Augen … Sie schauderte, als sie an deren Augen dachte. Nein, denk lieber nicht an die Männer.
    Denk nur an den Lieferwagen, die Bewegung. Wie weit fahren wir? Das gleichmäßige Dröhnen des Motors und das Vibrieren des Bodens unter ihr schienen ihre Sinne zu betäuben. Sie ließ zu, dass ihre Gedanken sich in dem Geräusch und der Bewegung verloren. Selbst wenn sie nicht wieder ohnmächtig würde, war es leichter, viel leichter, im Schockzustand zu verharren. Sie fragte sich nur, wie lange dieser Zustand andauern würde.
    Er hielt immer noch an, als der Lieferwagen plötzlich schlingerte, was dazu führte, dass Ardeth zur Wand rollte und sich die Hüfte am Radkasten anstieß. Sie hatte sich die Fahrt über in einer Art Schwebezustand befunden, friedlicher grauer Nebel hatte ihr Bewusstsein erfüllt. Wie aus weiter Ferne hatte sie das Gespräch der Männer verfolgt, eine fremde Sprache, die sich mit Geschäftsabschlüssen und Baseballergebnissen befasste, und die ihr nicht genügend Anreiz bot, um auch nur zu versuchen, sie zu verstehen. Das Einzige, was für sie Sinn abgab, war der Name des dunklen Mannes – Roias.
    Wieder ruckelte der Lieferwagen. Einer der Männer fluchte, und Ardeth unterdrückte ihr Wimmern, als sie mit dem Rücken gegen die Wand geschleudert wurde. Sie mussten jetzt auf dem Land sein, auf nicht asphaltierten Straßen.
    Endlich rollte der Lieferwagen aus und blieb stehen. »So, du Schlampe, wir sind da«, sagte einer der Männer vergnügt. Das war Wilkens, vermutete sie.
    »Mach die Tür auf und hol sie raus«, befahl Roias. Ardeth hörte, wie die Türen vorn zugeschlagen wurden. Die Schiebetür an der Seite glitt nach hinten.
    »Also gut, ich werd’ dich jetzt rausholen. Und du wirst schön mitkommen und tun, was wir dir sagen, sonst fang ich gleich hier an, dich in kleine Stückchen zu zerlegen.«
    »Dann pass nur auf, dass du einen Eimer bereit hast. Ich will nichts vergeuden«, bemerkte Roias, was den anderen zu widerwärtigem Gelächter veranlasste und Ardeths Wirbelsäule zu Eis erstarren ließ. Was vergeuden?, fragte sie innerlich und scheute dann vor den schrecklichen Möglichkeiten zurück, die sich ihr beharrlich präsentierten. Die wollen dich lebend und unverletzt, sagte sie sich. Das ist etwas, woran du dich festklammern musst.
    Als Wilkens sie in die Höhe zog, bemühte sie sich, gehorsam neben ihm herzutrotten, und strengte sich gleichzeitig an, möglichst viele Geräusche aufzunehmen. Es war seltsam still, kein Straßenlärm. Sie befanden sich ganz sicher auf dem Land.
    Als sie eine Treppe erreichten, stolperte sie, und Wilkens fluchte, zerrte sie an den gefesselten Armen hinauf. Sie zählte die Stufen, um ihren Verstand zu beschäftigen. Es waren fünfzehn. Drinnen angelangt, spürte sie, wie die Luft sich veränderte, und wie ihre Füße auf dem Boden ein anderes Geräusch verursachten. Sie wurde durch einen langen, hallenden Korridor mit Holzdielen geführt.
    Dann entstand eine Pause, und Ardeth hörte das Schnappen von Riegeln und dann ein schweres, mahlendes Geräusch, als eine Metalltür geöffnet wurde.
    »Weiter!«, herrscht Wilkens sie an und gab ihr einen Stoß. Sie taumelte in einen Schwall kühle, muffige Luft hinein. Ein Keller, dachte sie, als Wilkens anfing, sie eine lange, gewundene Treppe hinunter zu bugsieren. Die Stufen waren schmal, und sie konnte spüren, wie Leere an ihr zerrte. Ein Fehltritt oder ein übereifriger Stoß von Wilkens, und sie würde in die Tiefe stürzen und ihr

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