Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
machen?«
Ardeth sah die Augenbinde nicht kommen, plötzlich war alles Licht verschwunden. Schmerz blitzte kurz hinter ihren Augen auf, als ihr Haar sich in dem Knoten verfing und dieser festgezogen wurde. Als der dunkle Mann mit ihr fertig war, antwortete er: »Wir werden sie nicht kaltmachen, Wilkens. Unser Gast braucht sie.«
Gelächter erklang plötzlich, fand sein Echo in der Dunkelheit, die ihr Bewusstsein erfüllte. »Schon kapiert … zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
»Sozusagen.« Wieder ein Lachen, welches das Dröhnen in Ardeths Schädel übertönte. Ich werde ohnmächtig, dachte sie wie aus weiter Ferne, ehe der letzte Knoten von Angst sich in ihr zuzog und ihr Herz aussetzen ließ.
3
Du darfst nicht in Panik geraten, sagte Ardeth sich, nachdem sie wieder zu Sinnen gekommen war, um keinen Preis in Panik geraten.
Falls du dich allerdings für Panik entscheiden solltest, riet eine leise Stimme in den Tiefen ihres Bewusstseins, damit wir uns richtig verstehen, nur falls , dann könnte man dir das nicht übelnehmen, du hättest allen Grund dazu. Schließlich liegst du gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen in einem Lieferwagen, den zwei Wahnsinnige steuern, die bereits jemand anderen umgebracht haben. Jemanden, den sie in einer Schlucht zurückgelassen haben. Jemand, der vielleicht Tony war. Und sie kennen deinen Namen. Sie haben gewusst, wo sie dich finden konnten. Sie haben dir aufgelauert.
Aber sie hatten sie nicht getötet. Sie hatten sogar gesagt, dass sie nicht vorhatten, sie ›kaltzumachen‹. Ardeth versuchte, sich mit diesem Gedanken zu trösten, aber die winzige Stimme lachte nur spöttisch und bemerkte, dass sie sie nur deshalb nicht schon getötet hatten, weil sie sie noch für etwas anderes brauchten. Und was mag das wohl sein, sinnierte die Stimme. Vielleicht wollen sie, dass du Unterricht an einer Sonntagsschule gibst. Vielleicht sollst du irgendwelche Recherchen für sie durchführen. Aber vielleicht wollen sie dir auch nur Gewalt antun und dich im Anschluss umbringen.
Die düstere Vision dieses Schicksals war so überwältigend, dass Ardeths Bewusstsein protestierend aufschrie. Erst als sie ihr eigenes würgendes Wimmern vernahm, wurde ihr bewusst, dass sie auch laut aufgeschrien hatte.
»Verdammt, halt’s Maul dort hinten!«, schrie eine Stimme aus der Ferne, und Ardeth vergrub ihren Kopf in dem schmutzigen Teppich, der in dem Lieferwagen lag, und zwang sich, still zu sein.
Also gut, keine Panik. Du darfst nicht wieder ohnmächtig werden. Sie biss auf den Knebel, um nicht wieder aufzuschreien. Sie musste nachdenken. Wie lange würde es dauern, bis jemand sie vermisste? Ein, zwei Tage sicherlich, vielleicht sogar eine Woche, bis jemand sich genügend darüber sorgte, dass sie nicht zur Vorlesung erschien und ihr Telefon endlos klingelte, um dann schließlich die Polizei anzurufen. Vielleicht weniger, wenn jemand sich genügend Sorgen um ihren Gemütszustand nach Conrads Tod machte. Vielleicht Carla, o bitte, Carla, mach dir Sorgen, mach dir bald Sorgen!
Und dann … wenn man versuchte, sie zu finden, was würden sie dann finden? Nichts. Sie konnte sich nicht erinnern, auf ihrem Spaziergang jemandem begegnet zu sein. Wie lang würde die Polizei dazu brauchen, ihre Bewegungen zu rekonstruieren? Tage? Wochen? Monate?
Gar nicht gut, gar nicht gut. Sie ertappte sich dabei, wie ihr Atem anfing, schneller zu gehen, und zwang sich zur Ruhe. Von draußen würde also erst nach Tagen Hilfe kommen, wenn überhaupt. Sie würde damit also alleine fertigwerden müssen.
Warum gerade ich … o Gott, warum ausgerechnet ich? Ich habe nichts Böses getan … verdiene das nicht … Ich werde damit nicht fertig, ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht!
Du hast keine Wahl.
Der Gedanke verlieh ihr etwas Kraft. Sie war ein Feigling, daran gab es keinen Zweifel, und physisch schwach. Aber sie war intelligent, ganz sicher intelligenter als diese Gangster. Und ganz gleich, was sie mit ihr auch anstellten, es kam einzig und allein darauf an, dass sie so lange am Leben blieb, bis Hilfe kam. Einfach am Leben bleiben.
Also schön, dachte Ardeth und klammerte sich an den klaren, endgültigen Klang der Worte in ihrem Bewusstsein. Sie musste es also alleine schaffen. Denk nach. Wo brachten sie sie hin? Sie hatte ihren Aufstieg die Treppe zum Schloss hinauf um 6:45 Uhr begonnen. Wie lange war sie im hinteren Abteil des Lieferwagens bewusstlos gewesen? Sie musste daran denken, auf
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