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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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in ihr aufsteigende Übelkeit an. Eine Fülle von Gefühlen brandeten nacheinander in ihr auf: Angst vor Yamagata, die sich in Wut über ihren Vater wandelte, dann in Schuld und Sorge umschlug und sich schließlich wieder in Furcht zurückverwandelten.
    Nach einer Weile atmete sie tief durch und zwang ihre Finger, sich zu lockern. Sie würde gründlich über das nachdenken müssen, was ihr gerade widerfahren war, und sich dann entscheiden, wie sie am vernünftigsten weitermachte.
    Aber das würde später der Fall sein. Sie würde sich nicht jetzt damit auseinandersetzen. Im Augenblick konnte sie es nicht ertragen, überhaupt nachzudenken.

6
     
    »Ein schwarzes Loch ist ein Allesfresser, ein Allesverschlinger. Es definiert den ihn umgebenden Raum durch seinen Hunger. Es ist der Abgrund der Abgründe.«
    Rossokow beschlich plötzlich ein schwindelerregendes Gefühl des Wiedererkennens. Der Drang nach Blut ist häufig so gewesen, dachte er unvermittelt. Etwas so Kleines, aber so dunkel, so alles verzehrend. Egal, was für ein anderes Leben er sich hatte erschleichen können, es existierte nur, indem es dem Sog der überwältigenden Anziehungskraft des schwarzen Loches widerstand. Seine Existenz war durch seine Distanz von jenem Punkt definiert gewesen, an dem die Kraft seines unausweichlichen Bedürfnisses all seine Intentionen und Entschlüsse überwältigte. Und am Ende verschlang das Loch alles und reduzierte es auf den kleinsten Bestandteil seiner selbst: auf das Blut, und nur das Blut.
    Und ist es jetzt anders?, fragte eine dunkle Stimme in ihm. Wird es je anders sein?
    Stirbt ein schwarzes Loch? Selbst wenn es das will?
    Er legte das Astronomiebuch beiseite, mit dem er sich abgemüht hatte, und sah zu Ardeth hinüber, die – den Kopf über ein Blatt Papier gebeugt – ihm gegenüber in dem mitgenommenen Sessel saß. Einen Augenblick lang sah er wieder die stille Doktorandin, die am Rand seiner Zelle gekauert und ihm ihre Lebensgeschichte erzählt hatte. So muss sie ausgesehen haben, so viele Tage und Nächte vor jenem Morgen, an dem sie sie von der Straße holten, um deinen Hunger zu nähren, dachte er. Das ist es, was sie ihr weggenommen haben.
    Das ist es, was du ihr weggenommen hast. Die stumme Anklage geisterte durch sein Bewusstsein, und er schob sie von sich. Es war ihre eigene Wahl gewesen, erinnerte er sich.
    Dann blickte sie auf und lächelte, und das Schuldgefühl verflog. Ihr Haar war zwar anders, und ihre Augen ließen immer noch Spuren ihrer wilden Initiationszeit auf den Straßen von Toronto erkennen, aber ihre Seele war ganz sicherlich noch dieselbe. Sie hatte sich ganz sicher in ihrem Kern verändert. Das Lächeln verblasste zu Neugierde, und er empfand einen leichten Drang, die plötzliche Unterbrechung seiner Lektüre ihr gegenüber zu rechtfertigen. »Ich fürchte, mein Gehirn aus dem fünfzehnten Jahrhundert ist im Augenblick nicht fähig, weitere Wunder des zwanzigsten Jahrhunderts in sich aufzunehmen. Ich hatte daran gedacht, einen Spaziergang zu machen.«
    »Wenn du einen Augenblick warten kannst, komme ich mit«, erbot sie sich und beugte sich wieder über ihr Papier, als er nickte. Einen Augenblick später gewann die eigene Neugierde in ihm die Oberhand.
    »Was liest du?«
    »Routendiagramme für einen der Berge hier, wenigstens behauptet das der Mann, der sie mir gegeben hat.« Sie lachte und wedelte mit dem mit unverständlichen Strichen und Kritzeleien übersäten Blättern herum. »Ich bin sicher, sobald ich einmal dort oben bin, werden sie mir einleuchten.«
    »Du gehst klettern? In den Bergen?«
    »Ja, dort macht man das im Allgemeinen. Ja, ich gehe klettern. Bei klarem Himmel und Vollmond wird es für mich wie bei Tageslicht sein. Ich möchte wenigstens eine richtige Kletterpartie machen, ehe wir hier weggehen.«
    »Ich hatte immer den Eindruck, allein zu klettern sei gefährlich«, sagte Rossokow vorsichtig und ohne auf ihren letzten Satz einzugehen. Sie zuckte die Achseln.
    »Ja, das ist es wahrscheinlich auch.« Sie sah ihn an und lächelte. Es war, als flirte sie mit ihm. »Du könntest ja mitkommen. «
    »Ich denke, das könnte es noch gefährlicher machen, nicht etwa weniger gefährlich«, meinte er mit einem schiefen Lächeln. »Aber übereile es nicht. Wir haben Zeit.«
    »Bald wird der Winter da sein.« Die Worte hatten einen scharfen Beiklang, und Rossokow wusste, dass sie sich nicht mehr lange würde ablenken lassen.
    »Die Kälte wird dir nichts ausmachen.«
    »Das

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