Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
da war ein anderer Teil ihres Wesens, der überzeugt war, dass all ihre Vorsichtsmaßnahmen, ob nun vernünftig oder nicht, am Ende nicht den geringsten Unterschied machen würden. Wenn die Gangster der Yakuza sie töten wollten, dann würden sie es tun. Wenn die Vampire sie vernichten wollten, dann würden abergläubische Albernheiten wie Knoblauch und Kreuze sie nicht aufhalten können.
Und all das wegen einer Verpflichtung, die ihr Vater schon vor ihrer Geburt eingegangen war. Sie schob den Gedanken schuldbewusst von sich, weil ihr Zorn einem Mann galt, der jetzt von einem Schlaganfall halb gelähmt im Krankenhaus lag.
Du solltest ihn heute Abend besuchen, sagte sich Lisa und war sich gleichzeitig bewusst, dass die Besuchszeit längst vorbei sein würde, bis sie zum Krankenhaus kam. Sie hatte ihn schon zwei Tage nicht mehr gesehen. Morgen dann, gelobte sie sich. Ganz gleich, was sonst ist, morgen Abend fährst du hin.
Irgendwo hinter sich hörte sie jemanden rufen. Sie sah sich um, und ihre Schritte wurden automatisch schneller. Vor dem hell beleuchteten Eingangsportal sah sie, wie sich Silhouetten bewegten und sich dann in Richtung der Studentenwohnheime entfernten.
Sie merkte, dass sie die Luft angehalten hatte, atmete aus und wandte sich dann mit einem leichten Lächeln wieder dem Parkplatz zu. Da stand ihr Wagen, wartete in einer halbleeren Reihe auf sie. Sie fand ihre Schlüssel und eilte quer über die Asphaltfläche auf den Wagen zu.
Der Schlüssel steckte im Schloss, als sie hinter sich das Ächzen einer Autotür hörte. Ihre Finger wurden zu Eis, und ihre Kehle schien sich zuzuschnüren. Nicht hinsehen, dachte sie, als sie das Klicken des Fahrertürschlosses hörte. Einfach nicht hinsehen.
»Dr. Takara.« Es war eine Männerstimme, schroff und mit ausländischem Akzent. Lisa schob die Finger unter den Türgriff und zog. Sie musste die Tür öffnen und einsteigen. Wenn sie sich nicht umdrehte, konnte sie im Wagen sitzen, ehe er sie aufhalten konnte.
Sie hörte einen Schritt, dann legte sich ein schwarz gewandeter Arm um ihre Schulter, und eine breite braune Hand drückte gegen die Wagentür. »Bitte kommen Sie mit, Dr. Takara. «
Lisa schluckte einmal und drehte sich um. Der Mann hinter ihr trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. Er war nicht größer als sie, aber viel breiter. Bodybuilder-Schultern und ein Schlägergesicht, dachte sie. Hinter ihm, eine Reihe von ihrem Wagen entfernt, parkte eine lange, schwarze Limousine. Die Fenster waren rauchig und undurchsichtig, aber die beiden vorderen Türen standen offen, und der Fahrer wartete auf der anderen Seite des Wagens.
Wenn ich jetzt schreie, wird mich dann jemand hören?, fragte sie sich, wagte aber nicht, sich umzusehen, ob noch jemand auf dem dunklen Parkplatz war. Kann ich sie so lange hinhalten, bis jemand kommt?
»Es tut mir leid«, sagte sie, und ihre Stimme klang atemlos und rau. »Sie müssen mich mit jemandem verwechseln.«
»Bitte kommen Sie mit mir zum Wagen, Dr. Takara«, wiederholte der Mann, als ob sie nichts gesagt hätte. Seine Hand schloss sich um ihren Oberarm.
»Ich bin nicht …« Die Worte erstarben ihr in der Kehle, als sie grob nach vorne gerissen wurde. Sie sah, wie die hintere Tür des Wagens sich langsam öffnete.
Der Schrei erreichte ihre Lippen, als die Hand des Mannes sich über ihren Mund schloss. Er war hinter ihr, schob sie unerbittlich in den dunklen Innenraum der Limousine. Sie schlug um sich, bekam mit einer Hand den Rand der offenen Tür zu fassen. Ihr Fuß verhakte sich im unteren Türrahmen, glitt ab und rutschte auf den Asphalt. Jemand schob ihre Finger von der Tür und stieß sie dann in die wartenden Schatten hinein.
Die Tür fiel dumpf hinter ihr ins Schloss.
Sie fand sich langgestreckt zwischen den dick gepolsterten Sitzen wieder, mit den Knien auf dem mit Teppich belegten Boden. In der Mitte des Rücksitzes saß ein Mann, sein linker Fuß war nur Zentimeter von ihrer ausgestreckten Hand entfernt.
Wenn du etwas tun willst, dachte sie verzweifelt, musst du es jetzt gleich tun, ehe der Wagen sich in Bewegung setzt. Aber was gab es schon zu tun? Sie konnte sich rückwärts gegen die Tür werfen, durch die man sie in den Wagen geschoben hatte, oder darauf bauen, dass sie an dem Mann vorbei die andere Tür erreichte. Der Rücksitz der Limousine war durch eine Glasscheibe vom vorderen Teil abgetrennt, die beiden anderen Männer würden vielleicht überhaupt nicht bemerken, dass sie sich
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