Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
bewegt hatte.
Wenn du zu entkommen versuchst, erschießen sie dich womöglich, flüsterte eine kalte Stimme in ihr. Das ist vielleicht die beste Wahl, die dir bleibt.
Der Wagen erwachte unter ihr dröhnend zum Leben, und sie schloss einen Moment lang die Augen. »Dr. Takara.« Sie blickte auf. Dieser Mann hier war ein wenig älter, entschied sie, und sein Anzug sah teuer aus. Unter anderen Umständen hätte sie sein kantig gutes Aussehen vielleicht sogar attraktiv gefunden. Im düsteren Licht konnte sie seine Augen nicht sehen. »Bitte, machen Sie es sich doch bequemer.« Er hob die Hand und deutete auf den Sitz ihm gegenüber.
Lisa arbeitete sich nach oben und ließ sich so nahe bei der Tür nieder, wie sie konnte. Sie griff nach ihrer Handtasche, aber er war schneller als sie. Er legte die Tasche sowie ihren Aktenkoffer mit einem leichten Lächeln neben sich auf den Sitz, hinderte sie aber nicht daran, ihre Wagenschlüssel aufzuheben. Sie steckte sie ein und erinnerte sich dann mit einer Art amüsierter Belustigung daran, dass sie vor langer Zeit einmal in einem Selbstverteidigungskurs gelernt hatte, Schlüssel als Waffe einzusetzen. Das schien ihr ein schwacher Trost zu sein, aber trotzdem schloss sie die Finger um den Schlüsselbund.
Ein Blick zum Fenster hinaus ließ sie erkennen, dass sie bereits im Begriff waren, das Universitätsgelände zu verlassen.
»Haben Sie keine Angst, Dr. Takara. Ich bitte Sie um Nachsicht für diese etwas ungewöhnliche Kontaktaufnahme, aber wir hatten den Eindruck, dass Sie uns ausweichen. Sie haben nie die Nummer angerufen, die mein Mitarbeiter, Mr. Moro, Ihnen gegeben hat.«
»Die habe ich verloren.« Lisa sah bewusst nicht auf ihre Handtasche, wo die schon etwas abgegriffene Visitenkarte mit Mr. Moros Nummer in ihrer Geldbörse steckte. Sie brauchte bloß zu lügen. Das sollte eigentlich nicht so schwierig sein. Immerhin hatte sie auch alle anderen belogen: Die Polizei in Toronto, die Reporter, ihren Vater. Um aus dieser ganzen Geschichte herauszukommen, brauchte sie bloß an ihrer Darstellung der Dinge festzuhalten, ganz gleich, was auch geschah.
»Dann wäre das ja geklärt. Also, es ist ja noch nichts passiert. Sie können einfach mir sagen, was Sie ihm gesagt hätten. Wenn Sie seine Nummer noch hätten.«
»Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Takashi Yamagata. Mr. Moro ist mein Angestellter.« Er beugte sich ein Stück vor, und seine dunklen Augen suchten die ihren. »Bitte, fangen Sie ganz von vorne an, Dr. Takara. Wir haben ausreichend Zeit, so viel Sie brauchen.«
Lisa holte tief Luft und erzählte ihre Geschichte erneut. Wie Mr. Moro sie aufgesucht und verlangt hatte, dass sie, um die alte Schuld ihres Vaters bei den Yakuza zu begleichen, als Immunologin für ihn tätig werden solle. Wie man sie auf das Dale-Anwesen gebracht hatte und sie dort am Ende in das versteckte Labor gekommen war. Wie eines Nachts einer der Männer, in deren Gewalt sie sich befunden hatte, allem Anschein nach den Verstand verloren und einige der anderen Wissenschaftler getötet und anschließend das Gebäude in Brand gesteckt hatte. Sie war die einzige Überlebende des Feuers. Sie hatte sich diese Darstellung so sorgfältig zurechtgelegt und sie weitest möglich auf die Wahrheit aufgebaut und sie so oft erzählt, dass sie inzwischen beinahe selbst daran glaubte.
»Ich weiß nicht, warum Sie sich für Havendale interessiert haben, und das ist mir auch gleichgültig. Ich habe nie irgendwelche Forschungsarbeiten für sie durchgeführt«, beendete sie ihren Bericht.
»Sie haben in all den Monaten nichts getan?«
»Die haben die ganze Zeit auf irgendwelche Versuchstiere gewartet, die wir studieren sollten, aber es sind nie welche eingetroffen.«
»Man hat Ihnen nie gesagt, worum es bei den Forschungsarbeiten gehen sollte?«
»Ich glaube, es hatte etwas mit Langlebigkeit zu tun.« Sie riskierte einen weiteren Blick zum Fenster hinaus. Ein anonymes Stück Straße glitt draußen im Licht der Straßenlampe an ihnen vorbei. Als sie wieder zu Yamagata hinüberblickte, hatte er sich in den Sitz zurückgelehnt, und sein Gesicht war erneut von Dunkelheit verhüllt.
»Ich würde gerne glauben, dass Sie mir die Wahrheit sagen«, sagte er nach einem längeren Schweigen.
»Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie ja die Polizeiberichte in Toronto ansehen. Das ist Ihnen doch möglich, nehme ich an.«
»Das ist bereits geschehen. Sie könnten die Polizei auch belogen haben.«
»Warum sollte ich
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