Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Versuchung zu widerstehen, meine ich?«
»Nein. Es war für mich nicht leichter als für jeden anderen Mann.«
»Aber dann haben Sie es besser gemacht als die meisten«, stellte Ardeth verbittert fest.
»Ist es das, wovor Sie auf der Flucht sind? Ein untreuer Ehemann?«, fragte Doug sie, und Ardeth hob ihre linke Hand, um ihm zu zeigen, dass sie keinen Ring trug. »Dann eben ein Lebensabschnittsgefährte.«
Die Vorstellung, dass man Rossokow als ihren »Lebensabschnittsgefährten« bezeichnen konnte, entrang ihrer Kehle ein halbersticktes kurzes Lachen. »So einfach ist das nicht. Und versprochen haben wir uns gegenseitig auch nie etwas …«
»Nicht laut vielleicht. Aber Sie denken, dass er ein solches Versprechen gebrochen hat.« Seine Stimme schien plötzlich aus weiter Ferne zu kommen wie ein weit entferntes Stück ihrer eigenen Gedanken.
»Er hat mich dazu gebracht, an das zu glauben, was wir zusammen waren. Dass wir trotz all der Geschichten, die es gibt, all das sein konnten, was wir wollten. Ich wusste tief in meinem Innersten, dass es nicht ewig halten würde. Wir konnten die Regeln nicht ändern, nicht die, auf die es wirklich ankommt. Aber ich dachte nicht, dass es so bald geschehen würde. Ich hatte nicht erwartet, dass ich so … in Versuchung geraten könnte. Dass es so leicht sein könnte, einfach nachzugeben. Ich dachte, das bedeutete bloß, dass ich jung und schwach war. Ich dachte, er würde stärker sein, und ich dachte nicht, dass er einfach …« Sie hielt plötzlich inne, entsetzt darüber, was sie da alles aus sich hatte heraussprudeln lassen. Sie starrte quer über den Tisch, sah in seine mitfühlenden Augen und sein gefährlich vertrauenerweckendes Gesicht. »Sie würden das sicherlich nicht verstehen«, sagte sie schließlich.
»Möglicherweise nicht. Aber vielleicht wären Sie überrascht. « Seine Augen wanderten an ihr vorbei zum hinteren Teil des Restaurants. »Linda kommt zurück. Wir müssen weiter.« Er schob sich ein wenig ungeschickt aus der Nische und blieb dann stehen. »Die Dinge, die in dieser Welt wichtig sind, stellen sich selten ohne ein Opfer ein. Das ist eine Lektion, die Tausende von Jahren alt ist, und doch muss sie jeder von uns allem Anschein nach immer wieder aufs Neue lernen. Das und die älteste Lektion, die es überhaupt gibt … die der Vergebung. Ich hoffe, für Sie wird alles wieder gut. Wenn nicht, und falls Sie jemanden brauchen, mit dem Sie reden können – ich habe meine Karte neben meine Tasse gelegt. Leben Sie wohl.«
Sie suchte nach höflichen Worten des Dankes und des Abschieds, aber bis sie den Mund wieder aufbrachte, war er fort. Sie blickte ihm nach, ein Mann mit schütterem Haar, Ende fünfzig, in einer braunen Strickjacke. An der Tür des Restaurants ergriff er den Arm seiner Frau.
Ardeth wandte den Blick von ihm ab und starrte in ihre Tasse, bis sie hörte, wie ein Motor ansprang und wie das Motorengeräusch sich dann entfernte. Sie starrte immer noch in die braune Flüssigkeit und spürte durch die Tassenwand, wie diese abkühlte, als eine Kellnerin vorbeikam und die leeren Tassen ihr gegenüber abräumte.
»Was …?« Die Stimme der Kellnerin ließ sie aufblicken. Die Frau hielt eine weiße Visitenkarte in der Hand. »Das muss er Ihnen dagelassen haben, Süße. Für mich ist das ganz sicher nicht.« Sie legte die Karte grinsend hin und verschwand.
Ardeth starrte die Karte einen Augenblick lang an. Was mag er gewesen sein? Ein Psychiater? Schließlich nahm sie die Karte und drehte sie um.
Reverend Douglas Robinson.
Ardeth legte den Kopf auf beide Arme und fing an zu lachen.
16
Ein Klopfen.
Das Geräusch bohrte sich in ihr Bewusstsein, zerrte sie aus den Tiefen eines Traumes empor, der zu verblassen anfing, während sie versuchte, das Geräusch in ihn zu integrieren. Sie wälzte sich zur Seite, registrierte den reglosen Körper und den stetigen Atem neben sich und spähte mit zusammengekniffenen Augen über ihn hinweg auf den Radiowecker am Nachttisch.
Es war zwei Uhr.
Irgendetwas nebenan, entschied sie benommen, und dann erklang es erneut.
Nicht von der Eingangstür des Apartments. Von der Glasschiebetür des Balkons.
Die Angst fraß ein Loch in ihren Brustkasten. Sie glitt aus dem Bett, fröstelte in der kühlen Nachtluft und ging zur Tür. Sie zog die Vorhänge beiseite und starrte einen Augenblick lang ihr Spiegelbild an, ehe ihr bewusstwurde, dass es von vom Wind zerzaustem, schwarzen Haar gekrönt war, nicht von wirrem
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