Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
roten.
Hinter sich hörte sie das Rascheln von Laken.
»Oh, Scheiße«, sagte Mickey Edmunds, als Sara Alexander anfing, die Tür aufzuschließen.
Fünf Minuten später saß Sara im Wohnzimmer und blickte auf die schwarz gekleidete Gestalt ihrer älteren Schwester, die eingesunken auf der Couch saß. Mickey lehnte an der Wand neben der Küchentür, die Hände in den Taschen seiner hastig übergestreiften Jeans. Hinter ihm fing das Wasser im Kessel zu kochen an.
Sie hatten eine verlegene Umarmung und ein paar gequälte Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht. Sie konnte erkennen, wie Ardeths Augen die Veränderungen in ihrer Wohnung registrierten: neue Poster an den Wänden, die Gitarren in der Ecke, die Stereoanlage mit den riesigen Lautsprecherboxen und die über die leeren Borde des Bücherschranks verteilten CDs.
Ihre Schwester hatte sich auch verändert, wenn auch nicht so dramatisch wie beim letzten Mal nach ihrem Verschwinden vor sechs Monaten. Ihr Haar war immer noch schwarz, im Bobstil von Louise Brooks geschnitten. Wenn auch das Haar an der Seite entschieden so aussah, als wäre es selbst gestutzt worden. Und sie war immer noch schwarz gekleidet, wenn auch der rote Fleecepullover einen erstaunlichen Akzent darstellte, und außerdem trug sie Hosen und derbe Schuhe und nicht mehr den Minirock, in dem Sara sie das letzte Mal gesehen hatte. Ihr Gesicht wirkte schmaler, und die schwachen Linien um ihren Mund und ihre Augen ließen sie ausgemergelt und besorgt erscheinen.
»Hast du Probleme mit der Wohnung gehabt?«, fragte Ardeth plötzlich.
»Bis jetzt nicht. Wir werden ja sehen, was passiert, wenn deine vordatierten Schecks im Dezember auslaufen. Aber bis jetzt hat noch niemand aus dem Gebäude etwas gesagt.« Die Eigentumswohnung gehörte Ardeth. Sara war nach dem Verschwinden ihrer Schwester eingezogen, und Mickey war nach jener letzten Nacht der Enthüllung und der Vernichtung auf dem Dale-Anwesen zu ihr gezogen. Weil Ardeth vordatierte Schecks für die Pflege und Instandhaltung zur Verfügung gestellt hatte und die Hypothekenraten automatisch von ihrem Sparkonto abgebucht wurden, in das ihre Hälfte der Erbschaft ihrer Eltern geflossen war, war der Einzug in die Wohnung eine bequeme Lösung für Saras beständige Wohnprobleme gewesen. Und ihre Geldprobleme. Ihr Anteil an der Erbschaft war schon lange verbraucht. Sie hatte damit in endlos lang erscheinenden, mageren Zeiten ihre Band Black Sun unterstützt. Solange Ardeth die Hypothekenraten bezahlte, konnten sie und Mickey das Geld für den Hausmeisterservice aufbringen, und damit war die Wohnung ein perfekter und wesentlich bequemerer Stützpunkt für ihre Reisen mit der Band, als es das all die anderen, üblicherweise provisorischen Unterkünfte gewesen waren.
»Ich habe übrigens mit der Bank über deine Konten gesprochen. Sofern du nicht vorhast, wieder aufzutauchen, kann keiner an dein Geld ran, solange dich nicht jemand für tot erklärt. Und das ginge ohnehin erst in sieben Jahren.«
Der Wasserkessel fing zu pfeifen an, und Mickey verschwand in der Küche. Ardeth lachte. Ein scharrendes, bitteres Geräusch. »Ich denke, ich könnte ja jetzt von den Toten auferstehen, oder?«
Sara verspürte eine kurze Anwandlung von Enttäuschung und dann einen stärker ausgeprägten Stich von Schuldgefühlen. Wenn Ardeth außer Gefahr war, sollte sie glücklich sein. Wenn Ardeth nach Hause kommen konnte, sollte sie dankbar sein. Auch dann, wenn das zu einer Beeinträchtigung ihrer eigenen Pläne führte. »Wo warst du denn?«, fragte sie, um damit dem Gespräch und auch ihren eigenen Gedanken eine andere Wendung zu geben.
»Im Westen.« Ardeth warf einen Blick auf Mickey, der gerade mit einem Tablett mit der Teekanne und den Tassen aus der Küche kam. »Wir haben es bis nach Banff geschafft, dort hat der Wagen deines Freundes den Geist aufgegeben.«
»Das ist eine ganze Provinz weiter, als er vorhergesagt hat«, erwiderte Mickey. »Und wo ist der Alte?«
»Wahrscheinlich immer noch in Banff.« Ihre Stimme klang locker und beiläufig, aber Sara entging der schmerzhafte Unterton nicht. Irgendwie klang es vertraut, wie ein Echo ihrer eigenen Stimme. Das war also der Grund für das dünner gewordene Gesicht und die gequält blickenden Augen. Irgendetwas war zwischen Ardeth und Dimitri Rossokow vorgefallen. Ardeth sah sich wieder im Zimmer um. »Ich hatte gehofft, hier ein paar Tage bleiben zu können, nur so lange, bis ich etwas anderes gefunden
Weitere Kostenlose Bücher