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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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vorübergehen.«
    »Alle Dinge müssen sich wandeln«, wiederholte er leise. »Oder sterben. Alle Blüten fallen am Ende.«
    Ich fröstelte ob der merkwürdigen Traurigkeit, die aus seiner Stimme klang, und versuchte, ihm mit besonderer Leichtigkeit zu antworten. »Wenn Ihr ein Wahrsager seid, mein Herr, dann seid Ihr ein trübseliger.«
    »Das ist wahr. Trübselige Worte, um jemandem den Hof zu machen.«
    »Macht Ihr mir den Hof, mein Herr?«, fragte ich, obwohl mein Mund trocken geworden war und ich aufs Neue an das schwarze Wasser denken musste, das unter meinen Füßen flüsterte.
    »Nein, ich mache Euch nicht den Hof«, sagte er, und seine Stimme klang leise, aber ganz und gar nicht weich. Seine Hand griff nach oben und packte die meine, die ich immer noch vor meinem Gesicht hielt. Er wischte die Seide meiner Ärmel beiseite, und seine Finger berührten mein Handgelenk. Ich wollte fliehen, wollte mich an ihm vorbei über den Steg flüchten oder mich über das Geländer in das wartende Wasser werfen, aber ich konnte mich nicht bewegen.
    Der Fremde hob mein Handgelenk an seine Lippen und küsste es. Die Berührung fühlte sich eisig an – Lippen und Zunge waren wie kühle Seide, die Zähne wie eisige Nadeln. Mein Körper fröstelte und zitterte wie vor Kälte, aber in meinem Inneren gab es etwas, das schmolz und zu brennen anfing. Ich schrie nicht. Und ich floh nicht.
    Zuletzt hob er den Kopf und lächelte mich an, als wisse er, was ich empfunden hatte. »Ihr werdet nie von dieser Nacht sprechen.« Seine Stimme war dunkler als das Wasser im Fluss, süßer als die eines Dichters, aber ich nickte aus eigenem Willen und auch dem seinen gehorchend. Er brauchte keine Macht, um meine Lippen zu versiegeln. Was für ein Dämon er auch sein mochte, ich würde es sein, die die Last des Skandals und des Klatsches tragen würde, falls bekanntwurde, dass er zu mir gekommen war. Dann war sein Gesicht ganz dicht an meinem, und ich schloss die Augen, ehe sein Mund den meinen berührte. Ich dachte, ich könne mein Blut auf seinen Lippen schmecken, aber zu meiner Schande machte es mir nichts aus.
    Als ich die Augen wieder aufschlug, war er verschwunden.
    Ich erzählte es niemandem. Ich schminkte mein Gesicht mehr als gewöhnlich, um die Hitze zu verbergen, von der ich spürte, dass sie unter meiner Haut wartete. Ich band ein seidenes Band um mein Handgelenk, um die zwei Male zu verbergen, die ich dort fand. Ich ging nachts nicht mehr alleine ins Freie. Der Dämon kam nicht wieder zu mir.
    Einige Wochen später kehrte ich zum Haus meines Vaters zurück. Eine Zusammenkunft meiner Familie und enger Freunde war geplant zu Ehren des Geistes meines Großvaters, der uns verlassen hatte. Und in den Wirren der Vorbereitungen und in Gesellschaft meiner Tanten und Cousinen vergaß ich mein merkwürdiges Erlebnis beinahe.
    Wir hatten uns im Hauptsaal zum Mahl versammelt. Da wir zumeist Verwandte waren, hatte man die Förmlichkeiten ein wenig gelockert, und so schirmte nur ein dünner seidener Kicho die Damen von den Herren ab. Lachen und muntere Gespräche flogen durch den seidenen Schirm hin und her, aber ich redete meist mit den Frauen und erzählte ihnen die neuesten Geschichten vom Hofe.
    Die Dunkelheit hatte sich herabgesenkt, als ich die Stimme meines Vaters hörte. Sie war lauter geworden, und er begrüßte jemanden. »Willkommen. Du kommst spät, mein Bruder. Die Nacht muss für dich zum Tag geworden sein, wenn du bis jetzt geschlafen hast.« Ich blickte auf, in der Hoffnung einen Blick – wenn auch nur durch den Schleier – auf meinen unbekannten Onkel erhaschen zu können, aber er musste sich bereits zwischen den Männern niedergelassen haben, weil ich niemanden sehen konnte, der mir unbekannt war.
    »In der Tat, ich war fast die ganze letzte Nacht wach. Mein Schlaf ist seit dem unglückseligen Tod meines Vaters unruhig gewesen.«
    Ich erstarrte, die Teetasse in der Hand. Heiße Scham spülte die kalte Angst weg. Es war seine Stimme – die Stimme des Dämons im Mondschein.
    Meine Zofe griff besorgt nach meinem Arm, und dann konnte ich wieder atmen. Meine Gedanken waren wirr und unruhig. Im Palast war meine einzige Sorge gewesen, mich selbst zu schützen. Aber hier … hier stand die Sicherheit meiner Familie auf dem Spiel. Durfte ich es wagen, meinem Vater die Wahrheit zu sagen? Würde er mir glauben?
    Lautes Gelächter von der Seite der Männer zog meine Aufmerksamkeit auf sich. So sehr es mir Angst machte, wusste ich doch, dass

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