Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
ich gut daran tat, ihr Gespräch zu belauschen, um zu hören, was der Dämon meinem Vater erzählte. Vielleicht half mir das bei der Entscheidung, was zu tun war. Es fiel mir nicht leicht, zuzuhören, während meine Tanten und Cousinen rings um mich herum plauderten. Beim Großteil der Gespräche handelte es sich um denselben Klatsch, den ich bei Hofe hörte: Wer gerade in Gunst stand, wer die Gunst verloren hatte und was hinsichtlich der wachsenden Gesetzlosigkeit im Lande zu tun sei. Wieder verkündete mein dämonischer Onkel die Ansicht, dass große Veränderungen bevorstanden und dass nicht die Fujiwara-Familie diesen Wandel kontrollieren würde, sondern die Kriegsherren der Provinzen mit ihren Armeen.
Meine anderen Verwandten, alles selbst Fujiwaras und manche davon dem Haus, das die Regentschaft innehatte, näherstehend als wir, protestierten und widersprachen und schworen in ihrer Trunkenheit, dass die Stadt des Kaisers für ewig Bestand haben würde. War der Kaiser nicht der Abkömmling der Sonnengöttin? Waren nicht all seine Höflinge von ähnlich altem Geblüt, wenn auch nicht so göttlich? War Heian-kyo nicht der schönste und zivilisierteste Ort im ganzen Land?
Mein Vater unterbrach die Diskussion, ehe sie unangenehm wurde, und verkündete, dass mein Onkel sich dafür entschieden hatte, in den Norden zurückzukehren. Mein Vater hatte ihm großzügigerweise ein Anwesen in den Bergen überlassen, ein Teil des Besitzes, der das Vermögen unserer Familie darstellte. Es gab viele Trinksprüche und Glückwünsche, aber ich glaubte nicht, dass mein Vater es bedauerte, seinen Halbbruder gehen zu sehen.
Ich atmete auf. Die Gefahr würde also vorübergehen. Ich war wieder sicher, ganz besonders, da der Dämon, der den Namen meines Onkels trug, den meinen nicht kannte. Nach der Ankündigung meines Vaters konnte ich mich entspannen und wieder mit meinen Verwandten lachen und die Angst beiseiteschieben, die mich erfasst hatte.
Als die Zeit kam, zu der die Frauen gehen mussten, erhob mein Vater sich von seiner Matte und machte eine weit ausholende Handbewegung, die in seinem angetrunkenen Zustand etwas unsicher ausfiel. »Ehe du gehst, mein Bruder, musst du meine Tochter kennen lernen, die für diese Nacht vom Hof Urlaub genommen hat und nach Hause gekommen ist.«
Ehe ich mich rühren konnte, hatte mein Vater das Geschöpf, das behauptete, mein Onkel zu sein, zum Kicho gebracht, um dort niederzuknien. Ich verbeugte mich und hielt die Augen gesenkt, während ich fürchtete, er könne mich durch die Seide hindurch deutlich sehen. »Meine Tochter, Tamakatsura. Tochter, das ist dein Onkel, Sadamori.«
»Eure Rückkehr gereicht uns zur Ehre«, sagte ich, so leise ich das konnte.
»Ihr dient der Prinzessin Masahime, habe ich gehört.«
»Ja.«
»Merkwürdig. Eure Stimme klingt mir irgendwie vertraut. Stimmt es, dass Ihr seit meiner Ankunft nicht hier gewesen seid?«
»Ja, mein Herr.«
»Dann muss ich mich irren. Ich wünsche Euch ein gnädiges Schicksal.«
»Und ich Euch ebenfalls, Onkel.«
Dann war er verschwunden, und ich konnte aus dem Raum fliehen und inmitten meiner Tanten Zuflucht finden.
Als ich mich später in meiner Kammer befand, schickte ich meine Zofe zum Schlafen hinaus und kniete nieder, immer noch in meinen schönsten Kimono gekleidet, und betete zu Kannon, der Göttin der Barmherzigkeit. Ich flehte sie an, mich zu schützen. Ich holte all die Talismane und Glücksbringer, die ich im Laufe der Jahre angesammelt hatte, und verteilte sie im Raum. Dann legte ich mich in die Mitte meines Bettes, zog die Schleier zu und gelobte, die ganze Nacht wach zu bleiben, bis dann am Morgen die Zeit gekommen war, um zum Palast zurückzukehren.
Als ich erwachte, waren zwei der Lampen, die ich brennen gelassen hatte, verloschen. Die dritte warf ihr flackerndes Licht aus der Ecke herüber und erfasste das weiße Gesicht, das über meines gebeugt war. Ich öffnete den Mund, um zu schreien, aber eine kühle Hand legte sich darüber. »Tamakatsura«, sagte er leise. »Ihr wart nicht ganz offen zu mir, meine Dame.« Mein Blick huschte zur Tür hinüber, und ich fragte mich, wie er es geschafft hatte, an meiner Zofe vorbeizukommen. »Sie schläft … und wird erst erwachen, wenn ich das will.« Seine Hand löste sich von meinem Mund und strich über mein Haar. »Ich hätte erraten sollen, dass Ihr es seid.«
Seine Finger griffen nach meiner Schärpe und knoteten sie langsam auf. Ich sah wie von einem Zauber gebannt
Weitere Kostenlose Bücher