Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
ihn anzusehen. Er schien nicht ärgerlich zu sein, dass sie seinen Aufenthaltsort preisgegeben hatte. Lediglich interessiert. Sie nickte.
»Wie geht es Sara und Mickey?«
»Gut.«
In der Stille bewegte sich Rossokow abrupt, löste sich vom Feuer und nahm wieder in dem Sessel Platz. Ardeth sah, wie Fujiwara Akiko einen Blick zuwarf, und hörte dann, wie sich die Schritte der Frau entfernten. »Möchten Sie sich setzen? «, fragte der Vampir höflich, und Ardeth merkte, dass sie wie betäubt nickte und dann in die kühlen Lederpolster der Couch sank. Fujiwara nahm wieder seinen Platz ein, und eine Weile war nur das Knacken eines Holzscheits im Feuer zu hören.
»Wie alt sind Sie?«, fragte Ardeth schließlich.
»Ich bin 1045 wiedergeboren worden«, antwortete Fujiwara gleichmütig. »Und Sie?« Ardeth widerstand dem Drang, Rossokow anzusehen.
»Vor sechs Monaten. Warum wollten Sie mich … uns finden? «
Falls ihm ihre direkte Art unangenehm war, ließ er sich davon nichts anmerken. »Wie ich schon Dimitri sagte, ich bin sehr alt und habe nie jemanden von meiner Art kennengelernt. Ich konnte mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. « Einen Augenblick lang spielte ein Lächeln um seine Mundwinkel. »Erlauben Sie mir die Frage, weshalb Sie gekommen sind?«
»Wie ich schon sagte: Wenn ich nicht gekommen wäre, hätte ich mir stets die Frage gestellt …«
»Welche Frage?«
»Ob es außer uns noch andere Vampire gibt. Wie sie sind, wie sie leben.« Während sie die Worte aussprach, drang das, was er gesagt hatte, schließlich in ihr Bewusstsein vor, das von Rossokows stummer Anwesenheit etwas abgelenkt war. »Ich bin nie einem von meiner Art begegnet … « Es hat nichts zu bedeuten, sagte sie sich. Bloß weil er jene Antwort nicht besitzt, heißt das nicht, dass er nicht andere hat.
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen nur meine eigene Geschichte erzählen kann.«
»Sie haben nie andere Vampire erschaffen?«
»Nein. Ich habe viele Jahre gebraucht, bis ich begriffen hatte, was ich war, weil die Menschen in meinem Land keinen Vampirmythos kennen, von dem sie mir hätten erzählen können. Und außerdem schien es mir immer zu gefährlich. Die Gefahr, andere zu erschaffen, die Fehler machen und damit sich und mich in Gefahr bringen könnten, war mir zu groß. Wie Dimitri sagte«, meinte er mit einem Lächeln in Rossokows Richtung, »die meisten Menschen, die Vampire sein wollen, sind nicht die Art von Menschen, mit denen man die Ewigkeit verbringen möchte.«
»Und Sie haben nie die Versuchung verspürt?«, beharrte Ardeth.
»O doch. Aber als ich jemanden fand, mit dem ich mein Leben hätte teilen können, starb sie, ehe ich sie verwandeln konnte.«
»Das tut mir leid.« Die Reaktion stellte sich selbsttätig ein. Die üblichen Worte des Mitgefühls, welche die Konvention einem diktierte, ob sie nun einen Sinn ergaben oder nicht. Ardeth verspürte einen Augenblick lang Verlegenheit, in die sich echte Traurigkeit mischte.
»Danke«, sagte Fujiwara ernsthaft, als wären ihre Worte kein Klischee gewesen. »Es liegt über dreihundert Jahre zurück … aber ich denke immer noch an sie.«
Er war fast tausend Jahre lang alleine gewesen. Ist es das, was mir auch bevorsteht?, fragte sich Ardeth. Sie konnte sich ein so langes Leben nicht ausmalen. Waren es die Jahre, die jene subtile Aura der Melancholie erzeugten, die sie unter seiner gefassten Haltung spüren konnte? Oder war es etwas anderes, etwas Dunkleres? Etwas wie Verlust? Etwas wie Einsamkeit?
»Sie haben gesagt, Sie hätten eine Warnung für mich«, warf Rossokow plötzlich ein. Fujiwara sah ihn an und nickte. Ardeth, die Rossokows Worte aus ihrer beunruhigten Träumerei gerissen hatte, musterte das Gesicht des alten Vampirs.
»Havendale waren nicht die einzigen Leute, die sich für ihre Entdeckung interessierten. Mein Stellvertreter hat ebenfalls von Ihrer Existenz erfahren, durch einen jener geschmacklosen Filme, an denen man Sie gezwungen hatte, mitzuwirken. Er hat ohne mein Wissen Dr. Takara bedroht und sie in das Laboratorium eingeschleust. Seit dem Brand in Havendale sucht er nach Ihnen.«
»Ohne Ihr Wissen?«, fragte Ardeth. Er zuckte die Achseln.
»Für eine Weile. Ich fand schließlich heraus, was er machte, und folgte seinen Ermittlungen aus eigenem Interesse.« »Warum interessiert er sich für uns?«
Rossokows Frage rief wieder ein Lächeln im Gesicht Fujiwaras herauf.
»Ich glaube, es ist am besten, wenn wir ihn selbst fragen«, sagte
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