Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Fujiwara leise, und dann hörte Ardeth hinter sich das schwere Dröhnen der sich schließenden Eingangstür.
35
Takashi Yamagata hatte nicht erwartet, dass es so sein würde.
Er war dazu erzogen worden, alle Eventualitäten eines jeden Plans sorgfältig abzuwägen und in Betracht zu ziehen. Darin war er gut, und auch darin, flexibel zu bleiben und jede sich bietende Chance auszunutzen. Dennoch war er trotz seiner unvoreingenommenen Analyse aller logischen Szenarien unausweichlich in das eine oder andere hineingezogen worden. Eine Zeit lang hatte er geglaubt, seine Umwandlung würde mittels eines Röhrchens mit Blut oder Serum erfolgen, das auf geheimem Weg von Dr. Takara aus dem Havendale-Laboratorium geschafft worden war. Als Havendale dann vernichtet wurde, hatte er sich auf die Verhandlungen vorbereitet, die es erfordern würde, den ausländischen Vampir dazu zu überreden, ihm das Geschenk freiwillig oder – wenn nötig – auch unter Zwang zu gewähren. Und dann war da noch der älteste seiner Träume, nämlich jener von dem Augenblick, wo er in den Augen seines Oyabun das Angebot echter Verwandtschaft erkennen würde.
Erst in diesen letzten Tagen, seit er herausgefunden hatte, dass Fujiwara über seine Machenschaften Bescheid wusste, hatte er sich ausgemalt, dass es derart enden würde. Der Oyabun saß in dem Sessel, der so sehr dem Thron eines westlichen Fürsten glich. Der ausländische Vampir saß ihm gegenüber. Yamagata hatte ihn bisher lediglich in den Pornofilmen gesehen. Jetzt war er nur noch mit Mühe als das Wesen aus den Filmaufnahmen zu erkennen. Sein langes, graues Haar war aus der Stirn gekämmt, statt ihm wirr ins Gesicht zu fallen. Das Gesicht wirkte gefasst und menschlich und keineswegs wie ein nur aus Haut und Knochen bestehender Dämonenschädel. Aber an seiner Identität konnte dennoch kein Zweifel bestehen, denn sein Gesicht zeigte einen ähnlichen Ausdruck, wie er ihn von Fujiwara her kannte, und seine Haltung strahlte eine ähnliche Würde aus wie die seines Oyabuns.
Am Rande seines Blickfeldes befand sich noch eine weitere Präsenz. Einen Augenblick lang dachte er, das kurzgeschnittene, schwarze Haar gehöre Akiko. Aber dann wurde ihm bewusst, dass die Gesichtszüge darunter unverkennbar kaukasischer Herkunft waren. Vielleicht die Dienerin des anderen Vampirs, dachte er und entließ die Frau wieder aus seinen Überlegungen.
Er trat zwischen die beiden Sessel und verbeugte sich automatisch vor dem Oyabun. Fujiwara schien nicht überrascht, ihn zu sehen. Er weiß, dass ich Spione habe, dachte sich Yamagata. Oder er hat Kojima erlaubt, mir zu sagen, wohin er gereist ist.
»Mein Stellvertreter, Takashi Yamagata«, sagte Fujiwara nach einem kurzen Augenblick. Es stand außer Frage, was die Vorstellung erforderte. Yamagata verbeugte sich höflich vor dem Gai-jin -Vampir. »Dies ist Dimitri Rossokow, der Mann, den du gesucht hast.«
»Mr. Yamagata.« Die Stimme war leise und wies einen schwachen Akzent auf.
»Mr. Rossokow«, erwiderte Yamagata, wobei er aufrecht stehen blieb und dem Blick aus den blassgrauen Augen begegnete, die ihn studierten. Hinter sich hörte er das Ächzen von Leder und schloss daraus, dass die Dienerin des Vampirs aufgestanden war. Er sah, wie ihre dunkle Gestalt zur Wand ging und sich dort anlehnte, an einer Stelle, wo der Widerschein des Kaminfeuers gerade noch hinreichte.
Er nutzte die Gelegenheit, einen Schritt zurückzutreten und auf der Couch Platz zu nehmen. Die Erleichterung darüber, den Rücken jetzt nicht mehr ungeschützt zu haben, ließ ihn einen Augenblick lang vergessen, dass die einzigen echten Gefahren in dem Raum vor ihm saßen.
»Bist du alleine gekommen?«, fragte der Oyabun auf Japanisch.
»Ich habe vier Männer mitgebracht. Sie warten draußen.« Er sprach automatisch die Wahrheit, bedauerte es und entschied dann erleichtert und mit einem Maß an Selbstverachtung, dass keine Gefahr darin lag, die Information preiszugeben. Fujiwara hätte nichts anderes von ihm erwartet. »Du hättest nicht alleine herkommen sollen.«
»Glaubst du, dass mir von diesem Mann Gefahr droht? Von meinem Blutsbruder?« Er hatte wieder Englisch gesprochen, und Yamagata zwang sich, sich zu konzentrieren. Er beherrschte das Englische gut, war in der Sprache erzogen worden, aber dennoch war es eine Fremdsprache für ihn. Und er kannte sie nicht so lange, wie das bei Fujiwara der Fall war.
»Das hattest du im Vorhinein nicht wissen können. Deshalb hättest du
Weitere Kostenlose Bücher