Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
versprochen. Meinen Fluch habe ich dir nicht versprochen.«
»Ein Fluch.« Yamagata lachte trocken. »Wenn es ein Fluch ist, dann ist es sicherlich meine Pflicht, ihn mit dir zu teilen. Aber du kannst mir nicht weismachen, dass all die Jahrhunderte für dich nur schmerzlich waren. Du bist kein Feigling. Wenn dein Leben verflucht wäre, hättest du ihm schon vor Jahren ein Ende gesetzt.«
»Sie sollten über Dinge, von denen Sie nichts wissen, kein Urteil fällen«, sagte Dimitri Rossokow leise, und Yamagatas Blick wanderte zu ihm hinüber.
»Ich weiß wahrscheinlich mehr darüber, als Sie ahnen. Aber sagen Sie mir, haben Sie je das getan, was mein Oyabun getan hat? Einen kleinen Jungen genommen und ihn aufgezogen, ihm einen Ehrenplatz gegeben und in ihm den Eindruck erweckt, dass Sie ihm vertrauen würden? Ihm den Eindruck vermittelt, er sei wie ein Sohn, um damit sicherzustellen, dass er Ihnen gehorcht, und haben Sie ihm dann das einzige Erbe weggenommen, das er sich wünschte?«
»Nein«, antwortete der Vampir nach einer Weile, die endlos lang erschien, und Yamagatas Herz fing zu hämmern an, erfüllt von der plötzlichen Hoffnung, dass dieser Fremde, der seinem Oyabun so viel bedeutete, vielleicht auf seine Seite gezogen werden konnte. »Ich habe nie einen Sterblichen so nahe an mich herankommen lassen, dass er das hätte glauben können.«
Hoffnung schlug in Verwirrung um. Die Worte schienen zu leugnen, dass er überredet werden konnte, aber der betrübte Tonfall deutete das Gegenteil an.
»Es tut mir leid, wenn ich bei dir je den Eindruck erweckt habe, dass ich dir etwas anderes als mein sterbliches Imperium hinterlassen würde«, sagte Fujiwara. »Das war nicht meine Absicht.«
»Nein?«, fragte Yamagata und sah, wie der Vampir nach einem kurzen Augenblick den Kopf beugte.
» Vielleicht … tat ich so, als wüsste ich nicht, was du dir erhofftest … sobald ich zugelassen hatte, dass du erfährst, was ich bin. Ich habe dich das glauben lassen.«
»Weil es mich gehorsam sein ließ. Und vertrauenswürdig.«
»Ich bin kein Narr«, erwiderte Fujiwara mit einem Anflug von Schärfe. »Ich brauchte Gehorsam und Loyalität. Aber wenn ich nicht geglaubt hätte, dass du diese Tugenden bereits besessen hättest, hätte ich dich nie eingeweiht. Takashi, ich hinterlasse dir eine Organisation, die Millionen wert ist. Ich hinterlasse dir meinen Respekt und meine Hochachtung. Damit solltest du zufrieden sein.«
»Was macht es dir aus, wenn ich wie du werde? Denkst du, ich würde etwas Unkluges tun und unsere Existenz verraten? Meinst du, dass ich deines Vertrauens so unwürdig bin?«
»Nein, in all meinen Jahren hat es nur zwei Menschen gegeben, bei denen ich daran gedacht habe, sie zu verwandeln. Der eine war eine Frau, die ich zutiefst geliebt habe. Du bist der andere – der Einzige, den es außer ihr in den tausend Jahren gegeben hat. Es gab einmal eine Zeit, da habe ich mich ebenso nach einem Sohn gesehnt, wie du dich jetzt danach sehnst, mein Sohn zu werden. Vielleicht hat dieser Wunsch mich dazu veranlasst, meine Möglichkeiten falsch einzuschätzen. Aber ich habe lange darüber nachgedacht. Ganz gleich, wie viel mir mein untotes Leben bedeutet hat, ich bin ein unnatürliches Geschöpf. Ich bedeute Disharmonie und Gefahr. Du weißt, wie ich lebe. Meine Existenz ist auf Lügen und Tricks aufgebaut. Ich schütze mich, indem ich die Gesellschaft ausbeute und die Loyalität und die Ehre von Männern wie dir ausnutze. Ich werde diesen Fluch nicht fortpflanzen. Ich werde ihn ganz sicher nicht fortsetzen, indem ich den Fluch an dich, meinen Sohn, weitergebe, so dass du dann auch verflucht wärst.«
Yamagata blickte in das unnachgiebig strenge Gesicht und die schmalen, unergründlichen Augen. Sein Ausbruch, die schmerzhafte Offenbarung seiner wahren Gefühle hatte ihm nichts eingebracht. All die Dinge, die er an Fujiwara bewunderte, hatten sich dazu verschworen, ihn abzuweisen. Wenn der alte Mann einen Entschluss gefasst hatte, würde er sich nicht mehr davon abbringen lassen. Seine Ehre, die ihm so oft so wenig zu bedeuten schien, würde dennoch nicht zulassen, dass er sein eigenes Gelübde brach. Selbst die Liebe, die der alte Vampir für ihn empfand – eine Liebe, die eines seiner stärksten Argumente hätte sein sollen –, verwehrte ihm jetzt sein Ziel. Trotzdem versuchte er es erneut. Diesmal mit einer einfachen Bitte, ohne Zorn und ohne Anklage. »Vater … ich bitte dich …«
»Nein. Ich werde es nicht
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