Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
Vom Netzwerk:
unverständliche Bemerkung von ihnen hören, höchstwahrscheinlich Klagen über das unebene Terrain oder die schmerzenden Füße in ihren Stadtschuhen. Oder über die Distanz, die sie zu ihrem Oyabun und seinem Stellvertreter einhalten mussten, die die Prozession anführten. Ardeth war mitten in eine Auseinandersetzung darüber geplatzt – wenigstens hatte Akiko das so übersetzt. Fujiwara hatte den Streit mit einem schroffen Befehl beendet, aber obwohl alle sich verbeugt hatten, schien keiner von ihnen den Befehl mit Anstand anzunehmen – wenigstens auf diese sichere Distanz.
    Sie vermutete, dass das kurze Lachen, das gelegentlich an ihr Ohr drang und das eindeutig zotig klang, mit ihr zu tun gehabt haben musste. Wenn sie gewusst hätte, dass Fujiwaras geheimnisvolles Vorhaben einen Marsch durch die Wälder einschließen würde, hätte sie Jeans und Joggingschuhe angezogen und nicht ihren kurzen Rock.
    Akiko, die vor ihr ging, trug vernünftigerweise flache Schuhe und weite Hosen und war in einen Mantel gehüllt. Sie trug eine große Tasche auf den Schultern, hatte aber Ardeth versichert, dass sie ganz leicht sei und damit ihr Angebot abgelehnt, ihr die Tasche eine Weile abzunehmen.
    Hinter ihr schritt Rossokow einher. Sein langer Mantel streifte gegen die Büsche, und sein fahler Kopf ragte über die dunklen Häupter der anderen um ihn herum auf. Ardeth bemühte sich, ihn nicht anzusehen, schaffte es aber nicht und merkte, wie seine graue Haarmähne immer wieder ihre Blicke anzog.
    Yamagata konnte sie nicht sehen, wusste aber, dass er dicht hinter Fujiwara ging. Sein Gesicht war verschlossen und abweisend gewesen, als sie einander im Jagdhaus begegnet waren, aber in einem unbewachten Augenblick waren ihre Blicke einander begegnet, und Ardeth hatte entsetzt festgestellt, dass ihre Wangen sich gerötet hatten, entzündet von einem Gewirr aus Verlegenheit und sexueller Hitze. Er hatte sich schnell wieder abgewandt, und sein Mund hatte sich angespannt. Hat er so schnell zu innerer Ruhe zurückgefunden? , fragte sie sich, während sie über einen langen Baumstamm stieg, der ihr den Weg versperrte. Und wenn ja, wirst du dann dein Versprechen halten?
    Um sich von der Frage abzulenken, dachte sie an Fujiwara, der ihre seltsame Gruppe anführte. Sie war überrascht gewesen, ihn in einen grünen, mit Blütenmustern bedeckten Kimono und weißen Seidenhosen bekleidet zu sehen. Zwei Schwerter mit goldenen Griffen und in dunklen Scheiden steckten in der weißen Schärpe an seiner Hüfte. Sie hätte beinahe gelacht, als sie die merkwürdigen Sandalen sah, die er trug, mit den hohen Holzstegen an deren Sohlen, musste aber jetzt zugeben, dass sie ihn beim Gehen allem Anschein nach überhaupt nicht behinderten.
    Ardeth blickte durch die hohen Fichten, die den Weg säumten, nach oben. Der Himmel hatte sich irgendwie verdunkelt, und das Blau war im Osten in Indigo, im Westen in ein fahles Purpur übergegangen. Die Sonne musste jetzt gerade eben noch über den Bergen stehen, vermutete sie: Sie würden den Weg in völliger Dunkelheit zurückgehen müssen. Den Yakuza, die die Stadt gewöhnt waren, war die Aussicht darauf sicherlich unangenehm, und sie beschloss, darauf zu achten, dass sie sich während des Rückwegs in gehöriger Distanz zu ihr hielten. Sie hatte die Ausbuchtungen von Pistolenhalftern unter ihren Jacketts gesehen und verspürte nicht den Wunsch, im Wege zu sein, falls die Nacht sie nervös machte.
    Endlich lichtete sich der Wald um sie, und der Weg endete. Sie standen an einem breiten Uferstreifen, der ziemlich steil zu einem schmalen See abfiel. Vom Waldrand bis zu der Stelle, wo das Gelände abschüssig wurde, betrug der Abstand etwa zehn Meter, und bis zu der Stelle, wo die Bäume wieder bis zum Wasser reichten, war die Entfernung mehr als dreißig Meter. Das Ufer war nach Westen gewandt, dem Sonnenuntergang entgegen, wo orangefarbene Wolken den Himmel säumten. Ardeth sah sich um, nahm den Ring aus stacheligen Ästen hinter sich, das brüchige, sandfarbene Gras am Ufer und das kalte Graugrün des Sees unter ihnen in sich auf. Am anderen Ufer brannte das Herbstlaub einiger Bäume wie Glut zwischen den Fichten. Hinter dem See türmten sich die Berge in scharfen dunklen Linien zu weißen, schneebedeckten Gipfeln auf. Die ganze Szene strahlte eine eigenartige, verlassene Schönheit aus.
    Sie fröstelte und schob die Hände in die Taschen ihrer Jacke, als könne sie damit die Eiseskälte verjagen, die sie erfasst hatte.

Weitere Kostenlose Bücher