Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
werden. Aber der schöpferische Drang hat mich nicht ganz verlassen – und auch nicht der Drang, die Dinge so anzuordnen, dass sie ästhetischen Genuss bereiten.
Selbst in unseren Wunden und Sorgen liegt Symmetrie: Dimitri und ich auf die eine oder andere Weise von unseren Vampirmüttern verlassen. Takashi und Ardeth auf der Suche nach neuen Vätern, für die, die sie verloren haben, und im Aufruhr gegen das, was sie fanden. Ardeth und Dimitri, bemüht, eine Art von Liebe zu finden, die ihr unmenschliches Bedürfnis und ihre sterblichen Gefühle in Einklang miteinander bringt.
Wäre es mit Tomoe und mir ähnlich gewesen? Wahrscheinlich nicht, denn das war eine andere Zeit, eine andere Welt. Und doch sind bei aller Distanz die Herzen der Sterblichen stets die gleichen gewesen. Es mag zwischen den Kulturen einen Unterschied geben, in dem, was verboten ist – für den Westen war es der Sexus, der den Geboten ihres Gottes die Stirn bietet, in meinem Land ist es die Liebe, die sich weigert, sich der Pflicht zu beugen. Aber die Herzen und Körper der Sterblichen werden stets das wollen, was ihnen versagt ist. Selbst ich, in einem Sinne gar nicht sterblich, bin es dennoch in all den anderen. Auch ich wünschte mir das, was mir versagt war.
Aber ich bin der Einzige von den Suchern dieser Nacht, dessen Suche vom Erfolg gekrönt war. Ich bin auf der Suche nach einem anderen Wesen meiner Art in dieses Land gekommen und habe zwei von ihnen entdeckt. Yamagata hatte auf seiner Suche nach der Unsterblichkeit weniger Glück. Und wenn es die Antworten gibt, nach denen Dimitri und Ardeth hungern, dann irgendwo jenseits dessen, was meine Erfahrungen mich gelehrt haben.
Meine andere Suche, die, die ich anfing, nachdem meine Gäste gegangen waren, ist ebenfalls abgeschlossen. Ich habe den Ort gefunden, wo es geschehen soll, ein offenes Ufer an einem See. Das ist nicht der Ort, den ich mir ausmalte, als ich diese Gedanken zum ersten Mal vor Jahren dachte, aber er wird genügen. Die Berge und Bäume dieses Ortes tragen so manches Echo aus meiner Heimat in sich.
Als ich auf dem Stück Land stand, das ich ausgewählt habe, dachte ich an den Schauspieler Hidekane. Ich habe ihn nie vergessen, ganz wie er es vorhergesagt hat. Zu Hause, unter Verschluss, liegt eine Rolle mit dem Text des Stückes, das er einst für mich schrieb, unter größter Geheimhaltung und unter hohen Kosten beschafft. Ich habe es in jedem Jahrhundert wenigstens einmal gelesen. Ich kenne die Worte sehr gut. Es war nicht schwer, sie in dem Wind zu hören, der von den Berggipfeln herunterpfiff, um mich zu finden, als ich neben dem See stand:
Hinter den Bergen
Versinkt der Mond,
Wie ich versinken muss.
Aber über den Bergen
Muss der Mond sich wieder erheben,
So wie ich mich erheben muss.
Es gibt kein Rasten.
Als ich Japan verließ, kannte ich die Antwort nicht, die ich vielleicht am Ende der Reise finden würde. Und doch, wenn das tatsächlich so ist, weshalb habe ich dann meine Schwerter mitgebracht? Die Muramasa-Klinge erwartet mich, eingehüllt in ihre seidene Tasche, von Blut träumend.
Ich kann Schritte auf der Treppe hören. Akiko kommt. Sie wird verschlafene Augen und zerzaustes Haar haben, von meinem Ruf aus dem Bett gerissen. An ihr ist immer etwas Friedliches, als besitze sie eine besondere Essenz, eine innere Sicherheit, nach der wir anderen nur im Dunkeln tasten können. Sie bringt meinem unnatürlichen Herzen Linderung. Ich frage mich, ob auch sie irgendeine geheime Narbe trägt und insgeheim nach etwas sucht. Vielleicht werde ich sie danach fragen.
Ich denke, ich werde sie eine Weile bleiben lassen, wenn wir unseren Tanz des Sehnens und des Überlebens hinter uns haben.
Denn an diesem einen Morgen werde ich in ihren Armen einschlafen, wie sterbliche Liebende es tun.
38
Was für eine seltsame Prozession wir doch darstellen müssen, dachte Ardeth, als sie durch das nächtliche Zwielicht dem Weg folgte. Wenn wir unterwegs anderen Wanderern begegnen, werden die Menschen in Banff wahrscheinlich eine Woche lang über uns tratschen. Aber die Jahreszeit war schon weit fortgeschritten, und die Yakuza -Wachen hatten berichtet, dass den ganzen Tag niemand den Weg hinaufgegangen war, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen jemand begegnen würde, recht gering war.
Die Bandenmitglieder, in ihren dunklen Anzügen und mit ihren finsteren Blicken scheinbar untereinander austauschbar, gingen jetzt hinter ihr her. Gelegentlich konnte sie eine
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