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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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wahrnehmen. Die dunkle Farbe wirkte unnatürlich, aber das machte nichts. Der Kontrast verwandelte ihre Haut von hellem Elfenbein in Alabaster, und der Schnitt änderte ihre Gesichtsform und betonte die Höhlungen unter ihren Wangenknochen. »Nun?«, fragte Doug.
    »Ich seh aus wie dieser alte Filmstar …«
    »Louise Brooks. Im Augenblick ist das ein ganz heißer Look.«
    »Gefällt mir«, entschied Ardeth und lächelte ihr Spiegelbild an. »Genau mein Stil.«
    Im Bad des Salons holte sie das Make-up, das sie gekauft hatte, aus ihrer Handtasche. Sie umrahmte die Augenlider mit ägyptischer Extravaganz und bemalte ihre Lippen mit einem Rot, das den schwarzen Schimmer von Blut in sich trug.
    Ardeth trat zurück und setzte ihre Sonnenbrille auf. Ihre Gesichtszüge lösten sich hinter dem dunklen Glas auf, bis jemand, der sie ansah, nur noch die schwarze Kontur der Brille und die rote Linie ihres Mundes wahrnahm. Sie konnte auf der Straße an Sara vorübergehen, und ihre Schwester würde kein zweites Mal hinsehen. Aber andere vielleicht.
    Sei vorsichtig, sei anonym, geh auf Nummer sicher, hatte Rossokow sie instruiert, ehe er sie in der Nacht verlassen hatte. Der dunkellippige Dämon im Spiegel lächelte grimmig. Hatte die Sicherheit etwas anderes getan, als ihr diese Chance zu geben, mächtig, gefährlich und rücksichtslos zu sein? Furcht und Vorsicht schienen etwas zu sein, was dem neuen Feuer zuwider war, das sie in sich pulsieren fühlte. Bilder flackerten durch ihr Bewusstsein, Bilder von Vampiren in nächtlichen Filmen, alle glatt und schwarz-weiß, selbst wenn die Filme in Farbe waren. Dies war es, wie Vampire aussehen sollten.
    Als sie sich der Tür zuwandte, stellte sie mit einer gewissen Erleichterung fest, dass sie immer noch hungrig war. Alles begann sich zusammenzufügen.
    Sie schritt mit benommener Vorfreude durch die Menge, und ihre Erregung zeigte sich in dem schwachen Lächeln, das um ihre Lippen spielte, und darin, wie sie beim Gehen die Hüften schwang. Sie spürte die Augen, die ihr folgten, fühlte, wie sie ihr nachblickten, als sie an den Straßencafés und Geschäften vorbeiging. Das Gewicht jener Blicke war auf instinktive Weise berauschend, wie eine Liebkosung.
    Dennoch wusste sie selbst im Bann ihres neuen Ich, dass sie die Vorsicht nicht völlig in den Wind schlagen durfte. Und dass sie auch die Furcht noch nicht völlig abgelegt hatte. Jenseits des Bildes, das sie für sich selbst geschaffen hatte, jenseits des geheimen Wissens um ihre Macht, lag die harte Realität ihres Zustands, der Preis, den sie immer wieder würde bezahlen müssen. Sie brauchte Nahrung, Blut, ob freiwillig gegeben oder nicht, von den Leuten, die hier auf der Straße an ihr vorbeigingen. Sie waren nicht Peterson oder Roias. Diesmal gab es keinen rechtschaffenen Hass, der sie lenkte – oder das rechtfertigte, was sie tun musste.
    Sie musste wählerisch sein, begriff Ardeth, als ihre schwarz umrahmten Augen an einem attraktiven Mann hängenblieben, der alleine in einem der Straßencafés saß. Es musste jemand sein, der nicht wissen würde, wie ihm geschah – und es auch nicht weitererzählte. Wenigstens so lange, bis sie Rossokows hypnotischen Blick gemeistert hatte. Und somit kam der Mann in dem Café nicht infrage, entschied sie und ging weiter.
    Freier, dachte sie plötzlich. Ganz sicher würden die Kunden einer Prostituierten keine Neigung verspüren, etwas auszuplaudern, wenn die Frau ungewöhnliche Praktiken anwendete. Sie blieb an einer Kreuzung stehen, blickte auf die rote Ampel und überlegte.
    Es hätte seine Vorteile: Anonymität, stumme Opfer und darüber hinaus noch Bezahlung für das, was sie tat. Aber es gab auch Gefahren: Zuhälter, die Selbsthilfegruppen auf dem Strich und, am wichtigsten, die Polizei. Sie wagte sich nicht einmal auszumalen, was geschehen würde, wenn man sie festnahm.
    Außerdem, dachte sie schließlich, wollte ich nie im Leben eine Prostituierte sein. Ich werde nicht sein, was ich nicht sein will, nie wieder.
    Sie überquerte die Straße und überlegte gerade, ob sie eine der Nebenstraßen hinaufgehen sollte, als sie ihn sah. Er war höchstens zwanzig, vermutete sie, mit kurzgestutztem, dunklem Haar und einem hageren, hungrigen Gesicht. Er bettelte, hielt den Passanten die Hand entgegen, während er seine endlose Bitte um Kleingeld ertönen ließ.
    Ardeth löste sich aus dem Passantenstrom und beobachtete ihn einen Augenblick lang. Etwas in seiner monotonen Stimme und dem gesenkten

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