Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
schneeweißen Haut wie eine Rose aufblühten. Sie hatte kleine Falten um die Lippen und eine kaum wahrnehmbare Vertiefung neben dem Mund. Mickey fragte sich, ob sie vielleicht an ihrem Gaumen kaute, um ihre Spannung zu überspielen.
Sie trug einen abgewetzten khakifarbenen Trenchcoat über einem schwarzen Minirock, dunkle Strümpfe und ein weites schwarzes T-Shirt. Auf dem T-Shirt war ein ausgewaschenes Muster zu sehen, aber er konnte es nicht erkennen, nur die Andeutung dessen und von gotischen Schriftzügen, wenn sie atmete.
Der Holy Roller schrie auf, als quälte ihn etwas, und das Mädchen drehte plötzlich den Kopf. Blut schwang in einem glitzernden Kreis um ihren Hals, und Mickey zuckte zusammen, starrte sie an, bis er erkannt hatte, dass der rote Schein nur von einem Stein in ihrem Ohrring kam. Sie drehte den Kopf wieder zurück, und er sah die zwei geflügelten Gesichter aus Zinn, die an ihren Ohren hingen, mit rotem Glas, das von ihren Hälsen herabbaumelte wie Blutstropfen.
Sie legte den Kopf etwas zur Seite, und er fühlte, wie der Basiliskenblick ihrer Sonnenbrille ihn erfasste. Verlegen senkte Mickey die Augenlider und klimperte ziellos auf seiner Gitarre herum. »Denn die Versuchung ist überall, meine Kinder, und wir sind in der Wildnis verloren. Die Wildnis ist des Teufels, und der Teufel nimmt hier alle Gestalten an – und viele davon sind dem Auge wohlgefällig.« Die Predigt des Holy Rollers hallte plötzlich in seinen Ohren wider, und die brüchig gewordene Stimme ließ das letzte Wort wie eine Traube im Mund herumrollen, ehe sie den Kern der Bedeutung ausspuckte.
Als Mickey aufblickte, war das Mädchen immer noch da, die schwarzen Gläser ihrer Sonnenbrille hatten sich Rick zugewandt. Ein Seitenblick auf seinen Freund ließ das vertraute schwache Grinsen von Interesse erkennen. Normalerweise amüsierte es Mickey, wie Rick über die Frauen geifern konnte, die sich um sie sammelten. Heute wünschte er sich, der dünne Schweißfaden, der ihm über den Rücken rann, hätte sich nicht in Eis verwandelt.
»Komm schon, Mann«, sagte er verzweifelt und stupste Rick mit der Gitarre an. »Lass uns dem alten Holy etwas geben, worüber er sich wirklich aufregen kann.« Die Menge war unruhig geworden, und wenn sie in der Nacht noch mehr Geld verdienen wollten, taten sie gut daran, die Show wieder in Gang zu bringen.
»Hm? Oh, okay«, antwortete Rick benommen. Er konnte kaum den Blick von dem schwarz gekleideten, schwarzhaarigen Mädchen wenden.
»›Wild Thing‹?«, schlug Mickey vor.
»Yeah.« Diesmal kam die Antwort etwas stärker, und als der Blick seines Freundes zu dem dunkelhaarigen Mädchen zurückkehrte, erkannte Mickey, dass er den falschen Song ausgewählt hatte. Aber jetzt hatten sie sich festgelegt, die ersten Akkorde erklangen, und das Lied begann.
Man musste Rick durchaus zugestehen, dass er sich bemühte, subtil zu sein. Er lächelte alle Frauen in der Menge an und hielt auch den Text und die Melodie. Aber er sang es für sie, seine Stimme schwoll beim Refrain an, seufzte bei den Versen. Am Ende fand selbst Mickey sich in die Intensität des Liedes hineingezogen, und sein Gitarrensolo glitt schmerzerfüllt auf und ab, ein Widerhall von Ricks Stimme.
Das Mädchen stand da, lächelte leicht und wiegte sich leicht zum Takt. Der Wind blies ihr Haar auf zu einem dunklen Heiligenschein, der ihr Gesicht umgab, und die Straßenlaternen ließen die roten Steine an ihren Ohren aufblitzen. Einen Augenblick lang, in der Hitze der Nacht und im dröhnenden Rhythmus der Gitarre, wollte selbst Mickey sie besitzen.
Dann war der Song zu Ende, die Menge schloss sich lautstark dem letzten Refrain von »Wild Thing« an, Applaus brandete auf, und Geld klapperte in den Gitarrenkasten. Aber all das hörte Mickey nur wie aus weiter Ferne. Weil das Mädchen die Sonnenbrille abgenommen hatte und Rick zulächelte.
Du bist nicht eifersüchtig. Mickey starrte in seine Kaffeetasse und wiederholte die Worte halblaut. Und wusste, dass sie zutrafen. Es war nicht Eifersucht, die ihn ärgerlich hatte werden lassen, als Rick angefangen hatte, seine Gitarre einzupacken und die Menge zu ignorieren, die dünner wurde und sich verlief, bis nur noch das Mädchen dastand. Es war nicht Eifersucht, die ihn darauf bestehen ließ, dass Rick sich mit ihm in einer halben Stunde im Bistro traf. Es war nicht Eifersucht, die ihn hier auf dem Hocker sitzen ließ und auf die Straße hinausstarren, während sein Kaffee kalt wurde und
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