Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
ganz von seiner Verkleidung geschützt, schlurfte er die erste Seitengasse hinunter zu den verschiedenen Jagdgründen, die er inzwischen so gut kannte. Aus einer offenen Tür am Ende der Gasse hörte er das gleichmäßige Dröhnen der Kakophonie, die dieses Zeitalter als Musik bezeichnete. Der Lärm signalisierte die Existenz eines der halbverborgenen Nachtclubs der Stadt, die in den Seitenstraßen für eine Handvoll von Nächten aufzublühen schienen und dann wieder starben, wenn irgendein anderes Lokal die Aufmerksamkeit der wankelmütigen Jugend auf sich zog, die solche Lokale besuchte.
Er ging vorsichtig weiter, hielt sich im Schatten. Die jungen Leute bewegten sich im Rudel, und die Burschen konnten im Alkoholnebel gefährlich sein. In manchen Nächten schienen sie selbst nach Beute Ausschau zu halten, und die alten, schlurfenden Männer, die sich in den Seitengassen aufhielten, eigneten sich gut als Zielobjekte. Er fürchtete sie nicht, fürchtete aber die Risiken, die er würde eingehen müssen, um sich zu verteidigen.
Am anderen Ende der Gasse entstand Unruhe: Eine Gruppe lachender, krakeelender Leute tauchte unter der Straßenlaterne auf. Er erstarrte – in seiner Unbeweglichkeit unsichtbar – und wartete darauf, dass sie weiterzogen. Es gab eine Meinungsverschiedenheit – einige deuteten nach unten, auf die Tür zum Club, andere schrien nach irgendeinem anderen Ziel. Schließlich ging ein Riss durch die Gruppe, und die eine Hälfte zog in die Nacht davon. Rossokow wartete ungeduldig, dass die übrigen drei durch die Gasse gingen. Es waren zwei junge Männer orientalischer Herkunft, das Haar zu Hahnenkämmen frisiert über Gesichtern von fast weiblicher Schönheit. Die dritte Person … Sein Atem stockte, und er fragte sich, wie es kam, dass er das Leuchten ihrer Präsenz nicht eher wahrgenommen hatte. Jetzt, wo er es bemerkt hatte, strahlte es grell wie das Neonlicht, das die Nächte der Stadt färbte.
Sie sah völlig anders aus als die bleiche, abgehärmte Frau, die er in der Irrenanstalt gekannt hatte. Rabenschwarzes Haar umrahmte ein bleiches Gesicht, beherrscht vom Rot ihrer Lippen. Ihre Kleidung war knapp und schwarz und ließ lange Beine in dunklen Strümpfen erkennen, und weiße Arme, die schockierend nackt aussahen. Nur ihre Augen waren dieselben, als sie stehen blieb und in die Dunkelheit sah, unvereinbar weich mit all ihren scharfen Kanten und kompromisslosen Farben.
Sie konnte ihn nicht sehen, ihre Sinne waren noch nicht hinreichend gereift, um ihn zu finden, wenn er sich vor ihr verhüllte. Aber sie starrte dennoch unsicher die Gasse hinunter, bis die jungen Männer an ihrem Arm zerrten und sie in die dunkle Mündung des Clubs zogen.
Rossokow atmete langsam aus. Du musst dich verstecken, hatte er ihr gesagt. Dich verändern, damit ihre Augen dich nicht finden können. Und das hatte sie getan, und zwar mit einer Effizienz, die beinahe furchterregend war. Sein Herz sehnte sich plötzlich nach ihr, Einsamkeit und Mitgefühl in einem. Er kannte die Schrecken der Jugend dieses Zustands, das verzweifelte Suchen nach Führung durch denjenigen, der einen erschaffen hatte, und dazu den Ballast angesammelter Vorurteile und falsche Vorstellungen aus den finsteren, angsterfüllten Märchen als einzigen Vorbildern. Und diesem Kampf hast du sie schutzlos ausgesetzt, erinnerte ihn sein Gewissen.
Er konnte sich Zutritt in die finsteren Räume des Clubs erzwingen oder zwischen den Mülltonnen lauern, bis sie wieder herauskam. Aber dann stellte sich wieder die Erinnerung an Roias ein und mit ihr der Gedanke, wozu er sich gezwungen sehen könnte, falls man sie als Geisel nahm, und so schlurfte er weiter, tauchte wieder ganz in seine Tarnung ein, und es fiel ihm leichter, als er sich das gewünscht hätte.
20
Auf der Straße herrschte Hochbetrieb, als Mickey und Rick eintrafen, um ihre Anlagen aufzubauen. Die Erinnerung an die Hitze des Tages hing wie die Witterung eines Wildes in der schwülen Luft. Die Hitze trieb die Menschen auf die Straßen, streifte ihnen aber die Stiefel und Mäntel ab, mit denen sie sich den ganzen Winter über verhüllt hatten. Mickey hatte seine übliche Lederjacke abgelegt und die Ärmel seines »Death from Above«-T-Shirts hochgerollt. Rick hatte als Konzession an die Hitze sogar sein schulterlanges Haar hinten zusammengebunden. Und deshalb, dachte Mickey und grinste innerlich, weil er mit dem hinten zusammengebundenen Haar und der runden Sonnenbrille wie der Gitarrist
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