Die Nacht von Granada
von Angst in dem sonst so steinernen Gesicht.
»Du wirst uns zu den Verliesen führen«, antwortete er. »Dorthin, wo Kamal bin Nabil und Lucia Álvarez zu Unrecht eingekerkert wurden. Und keinen einzigen Laut – sonst stirbst du!«
Tatsächlich trottete der Inquisitor gehorsam voran, den steinernen Weg hinauf zur Alcazaba, doch dann blieb er plötzlich stehen. »Ihr kommt hier niemals lebend heraus«, sagte er. »Das wisst ihr, wenn ihr keine Idioten seid. Wieso gebt ihr nicht lieber gleich auf und streckt die Waffen?«
Rashids Hieb traf ihn ohne jegliche Vorwarnung unter dem Auge. Die dünne Haut platzte auf. Lucero begann heftig zu bluten.
»Ich verlange mein Wertvollstes von dir zurück«, sagte Rashid mit dumpfer Stimme. »Und zwar meinen Vater und meine Liebste! Also lauf zu, wenn du an deinem Leben hängst!«
Lucero gehorchte zögerlich.
Inzwischen stiegen die dunklen, alten Mauern vor ihnen auf, die schon so vielen Menschen zum Verhängnis geworden waren. Vielfältige Gerüchte darüber kreisten in Granada, blutrünstige Geschichten, die in langen Winter nächten vor dem Feuer erzählt wurden und Kinder dazu brachten, sich schaudernd an ihre Mütter zu kuscheln.
»Wo sind sie?«, stieß Rashid drohend hervor. »Meine Geduld geht langsam zu Ende!«
»Gleich«, erwiderte der Inquisitor. »Aber wie willst du sie freibekommen?«
»Ganz einfach.« Rashids Dolch fuhr ihm seitlich an die Kehle und machte ihn unfähig auch nur zur allerkleinsten Bewegung. »Denk dir geschwind etwas Kluges aus. Denn kein anderer als du wird ihre Freilassung anordnen!«
Mit der anderen Hand packte er Lucero am Hals und schüttelte ihn wie einen ungehorsamen Welpen, der zur Vernunft gebracht werden musste.
Spürte Lucero die Kühle der Klinge oder schien seine Haut zu brennen, wo der Dolch ihn berührte? Unsicher taumelte er nach vorn, bis er vor einer mächtigen alten Holztür angelangt war. Links und rechts steckten zwei flackernde Fackeln in eisernen Haltern.
»Ich nehme eine davon heraus«, sagte der Inquisitor. »Das mache ich sonst auch immer, wenn ich im Dunklen herkomme.«
»Sie dürfen keinen Verdacht schöpfen.« Rashid fühlte sich erschöpft, als wäre die innere Anspannung auf einmal zu viel für ihn. »Tu so, als wäre alles wie immer. Solltest du versuchen, uns reinzulegen, werden wir …«
»Schon gut!« Lucero schien sich auf einmal zu straffen, wirkte aufrechter und größer. Er nahm eine Fackel aus der Halterung, Danach ließ er den Eisenring schwer gegen das Holz fallen. »Öffnet!«, rief er mit lauter Stimme. »Hier ist Rodriguez Lucero, der Inquisitor Granadas. Ich begehre Einlass!«
Es dauerte eine Weile, bis ein offensichtlich verschlafener Wächter das Tor öffnete.
»Exzellenz?«, sagte er erstaunt, als er den Inquisitor erkannte. »Aber es ist doch mitten in der Nacht …«
Da waren die Söhne Allahs schon nach vorn gestürmt, hatten ihn umgerannt und gleich danach zu einem Bündel verschnürt, wie auch den zweiten Mann, der sich kurz nach ihm gezeigt hatte und den sie auf die gleiche Weise unschädlich gemacht hatten.
»Weiter!«, befahl Rashid und ließ die Schlüssel klappern, die einer der Wächter an seinem Bund getragen hatte.
»Ihr begeht einen großen Fehler«, begann Lucero abermals. »Denn ihr werdet nicht weit kommen. Also besinnt euch rechtzeitig!«
»Dein größter Fehler war, uns Mauren zu unterschätzen. Ich werde nicht zulassen, dass du meinen Vater und Lucia unschuldig einsperrst. Wo sind sie?«
»Hier.«
Es war so dunkel und modrig, dass die Felswände das Licht der Fackel zu verschlingen drohten. Rashid musste gegen ein Gefühl von Beklemmung und Angst ankämpfen, das in ihm aufstieg. Hier hatten sie ausharren müssen, seine Mutter, seine Schwester, sein Vater – und Lucia!
Es wurde Zeit, diesem Spuk ein Ende zu bereiten.
»Vater!«, rief er. »Lucia? Hört ihr mich? Ich bin hier, um euch zu befreien!«
Er meinte ein Gurgeln zu hören, dann schwaches Rufen, das viel zu schnell wieder erstarb.
War er zu spät gekommen?
Seine Angst wuchs. Er riss sich das Tuch vom Mund, aus Sorge, daran zu ersticken.
Der Schlüsselbund in seiner Hand tanzte, als er die Schlüssel nacheinander ausprobierte, so aufgeregt war er, bis endlich der richtige gefunden war.
Dann sprang die Tür auf.
»Lucia – Liebste!«, rief er in unendlicher Erleichterung, als sie sich bei seinem Anblick von der Pritsche erhob und ihm entgegenging. »Du bist unverletzt? Jetzt wird alles gut.«
Ihre
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