Die Nacht von Granada
etwas zustoßen kann. Und ich weiß auch schon, wohin. Wir gehen in die Alpujarras, Liebste! Dort werden wir gemeinsam leben und glücklich sein.«
Nuri spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Noch nie zuvor hatte er sie so genannt.
»Du bist verrückt, Miguel Ortíz«, sagte sie. Welche Freude es ihr bereitete, allein seinen Namen auszusprechen! Tausendmal hintereinander hätte sie es tun mögen, ohne jemals müde zu werden. »Vollkommen verrückt sogar!«
»Vielleicht bin ich das.« Er lachte, dieses breite, umwerfende Lachen, das sie schon bei der ersten Begegnung an ihm geliebt hatte. »Komm mit mir, Nuri! In der Bergeinsamkeit der Alpujarras würde unser Glück niemand stören!«
Glück.
Nuri erschrak. Die Verlockung kam direkt aus ihrem Herzen. Aber sie konnte, sie durfte das nicht fühlen!
Papa mit seiner verstümmelten Hand und Lucia saßen noch immer im Kerker. Rashid, der geliebte Bruder, unternahm womöglich gerade waghalsige Anstrengungen, um sie daraus zu befreien. Ein Versuch, der ihn das Leben kosten konnte. Wenn sie einen von ihnen verlieren würde – das Herz wollte ihr stillstehen bei diesem Gedanken!
Doch da gab es noch etwas anderes, das ihr schwer auf der Seele lag, seit Längerem schon, genau genommen seit dem Einbruch in Gaspars Haus, als Miguel ihr zum ersten Mal seine Gefühle offenbart hatte. Manchmal stieg es empor, dann schob sie den unangenehmen Gedanken schnell wieder weg, als ob sie das Problem damit aus der Welt schaffen könnte.
»Sie würde mich hassen«, murmelte sie. »Lucia verabscheut es, zurückgewiesen zu werden, da kenne ich meine geliebte Mondschwester nur allzu gut! Ich möchte sie nicht unglücklich machen, erst recht nicht nach allem, was sie jetzt durchzustehen hat. Ich weiß doch, wie viel sie für dich empfindet, Miguel, von Anfang an!«
Wieso begann er jetzt lauthals loszulachen? Nuri starrte Miguel erstaunt an.
»Du weißt nichts davon, oder?« Es schien ihm schwerzufallen, sich wieder zu beruhigen, aber vielleicht lag das ja auch an der immensen Anspannung, unter der sie alle standen. »Lucia hat dir nichts verraten? Das sieht ihr ähnlich!«
»Ich verstehe kein Wort«, sagte Nuri leicht säuerlich. »Was meinst du?«
»Rashid und Lucia … Du weißt wirklich nichts davon? Als Schwester und allerbeste Freundin?«
»Du lügst«, rief sie empört. »Das kann nicht sein. So etwas hätte Lucia mir doch niemals verheimlicht!«
»Ich lüge nicht. Und bestimmt hatte sie gute Gründe, ihre Gefühle für sich zu behalten. Allerdings, liebste Nuri, muss man schon sehr blind sein, um nicht zu bemerken, dass die beiden sich zueinander hingezogen fühlen.«
Sie wandte sich ab, schweigend, und begann auf einmal hastig zu hantieren. Binnen Kurzem war der Berg an wärmenden Decken, den Nuri zusammengerafft hatte, so riesig, dass sie ihn allein nicht tragen konnte.
»Ich brauche Hilfe!«, rief sie.
Noch bevor Miguel zulangen konnte, stand Djamila schon vor ihr.
»Ihr habt euch sehr viel Zeit gelassen«, sagte sie mit leiser Missbilligung. »Aber jetzt kommt endlich. Wir bringen alles zu deiner Mutter, Pilar und Antonio.«
»Warte – nur noch einen Augenblick!« Miguel wollte Nuri am Ärmel packen, sie aber riss sich los.
»Ich muss jetzt für mich alleine sein«, sagte sie. »Kannst du das nicht verstehen? Die Angst um Papa, die Haft, die plötzliche Freilassung, die verbrannten Bücher – und nun das! In meinem Kopf dreht sich alles im Kreis. Was soll ich jetzt überhaupt noch glauben? Worauf noch vertrauen?«
Sie begann zu weinen.
Miguel nahm sie in die Arme, ohne sich um Djamilas Anwesenheit zu scheren, und hielt sie ganz fest.
»Natürlich muss das alles hier erst einmal überstanden werden«, murmelte er an ihrem Ohr. »Aber du sollst wissen, dass ich mit dir leben möchte, Geliebte!«
Nuri zitterte unter seiner Berührung. Plötzlich spürte er, dass sie ihn ebenfalls umarmte und dass ihre Finger ihn am Ohr kitzelten. Ein kurzer Moment nur, eine winzige, unschuldige Zärtlichkeit, wie sie auch Kinder hätten austauschen können, die ihm jedoch durch und durch ging und ihn mit hellem, taumelndem Glück erfüllte.
Dann löste sie sich langsam von ihm.
Djamila stieß ein Hüsteln aus. Ihre Augen waren feucht geworden.
»Ich werde für euch beide beten«, sagte sie. »Ebenso wie für Rashid und Lucia. Dann wird die Liste der Gebete, die ich täglich für Antonio und das Kleine an Allah richte, eben noch ein Stückchen länger.«
»Aber du erzählst es
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