Die Nacht von Granada
Schritte waren unsicher, aber sie konnte aufrecht gehen und brachte sogar ein winziges Lächeln zustande.
»Wo ist Abu?«, sagte Lucia leise. »Mach dir um mich keine Sorge. Aber ihn müssen wir schnell holen!«
Worte, die Rashid mit neuer Zuversicht erfüllten.
»Gleich nebenan«, sagte er. »Sein Leiden wird bald vorbei sein.«
Jetzt zitterte seine Hand mit dem Schlüssel so stark, dass statt seiner ein anderer der Söhne Allahs aufsperren musste.
Kamal lag auf dem felsigen Boden, die verstümmelte Hand zwischen die Schenkel gepresst, als würde er die Schmerzen kaum ertragen, und rührte sich nicht.
»Abu?« Rashid lief besorgt zu ihm. »Hörst du mich? Ich bin es, dein Sohn!«
Keine Antwort.
»Wir müssen ihn nach draußen tragen«, rief Rashid über die Schulter zu den anderen. »Wir werden ihn auf das Maultier binden, sehr, sehr vorsichtig, damit er nicht …«
»Das glaube ich kaum.« Luceros Stimme war höhnisch. »Denn keiner von euch wird diesen Kerker lebendig verlassen!«
In einer Hand hielt er auf einmal einen prall gefüllten Beutel, der hier unten irgendwo versteckt gewesen sein musste, in der anderen noch immer die Fackel.
»Ein wertvolles Geschenk meiner tapferen Rotkappen. Man nennt es Donnerkraut oder auch Schwarzpulver. Jenseits der Pyrenäen experimentieren sie bereits eifrig damit. Ein wahres Wundermittel – ihr werdet es gleich erleben! Denn man braucht nur ein Stück Schnur, das als Lunte dient. Just in dem Moment, wo das geheime Gemisch mit Feuer in Berührung kommt, explodiert es – und zerfetzt alles, was in seiner Nähe ist.«
Rashid, noch immer über seinen verletzten Vater gebeugt, rang nach Luft. Und aus Lucias Kehle kam ein hoher, verzweifelter Ton.
»Es wird Spaß machen, eure Gliedmaßen zusammensuchen zu lassen. Oder sollen wir uns diese Mühe sparen und sie gleich hier im Felsengrab verrotten lassen? Wo ihr Mauren doch ohnehin unreinen Blutes seid und daher in die tiefste Hölle fahren werdet!«, fuhr der Inquisitor fort. »Und jetzt hinein mit euch – alle zusammen!«
Er hob den Arm, um seinem Befehl mehr Gewicht zu verleihen, als man einen halblauten Kampfschrei hörte. An Luceros Rücken schien plötzlich etwas zu hängen, das sich nicht mehr abschütteln ließ, ein quietschlebendiges, mageres Menschenbündel, das ihn kühn von hinten angesprungen hatte.
Amir hatte sein Schwert gezückt und stieß es dem Inquisitor zwischen die Rippen, exakt in Herzhöhe. Lucero sackte zusammen und fiel nach vorn wie ein nasser Sack.
Die brennende Fackel war seinen Händen entglitten.
»Für alles, was du uns angetan hast!« Der kleine Schneider bückte sich, um sie aufzuheben, und schien höchst zufrieden. »Ab jetzt kannst du dein verdammtes Schweinefleisch mutterseelenallein in der Hölle fressen, du Scheusal!«
Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Rashid die Sprache wiederfand.
»So schnell wie möglich weg von hier!«, befahl er schließlich. »Bevor man ihn hier findet. Kannst du gehen, Lucia?«
»Das kann ich.« Ihre Augen hingen an seinem Gesicht. »Aber Kamal …«
»Dann helft mir mit dem Vater! Wir müssen ihn ein Stück weit tragen!«, rief er den Söhnen Allahs zu.
Sie nahmen den gleichen Weg zurück, vorbei an den gefesselten Männern. Danach kamen sie an den Torwächtern vorbei, die ebenfalls noch geknebelt am Boden lagen.
Lucia war unwillkürlich stehen geblieben, doch Rashid trieb sie zum Weitergehen an.
»Bis zum Sonnenaufgang werden sie auf jeden Fall überleben«, sagte er. »Das ist mehr, als ich dir für uns versprechen kann. Komm jetzt! Es gibt Wichtigeres zu tun.«
Als sie die Puerta de la justicia hinter sich gelassen hatten, kam ihnen aus der Ebene, wo die Stadt lag, ein heller Schein entgegen.
»Es wird ja schon Morgen«, sagte Lucia verblüfft. »Dabei dachte ich, diese rabenschwarze Nacht würde niemals enden!«
»Das ist noch lange nicht der Morgen, Lucia«, erwiderte Rashid. »Sondern noch immer die schlimmste Nacht, die Granada je erlebt hat. Die Stadt brennt!«
Auf Pilars Anordnung hatten alle in Antonios Haus maurische Gewänder angelegt, auch sie selbst, obwohl darüber eine hitzige Diskussion zwischen ihr und Miguel entbrannt war.
»Das nützt doch nichts!«, hatte der junge Goldschmied gerufen, während seine goldenen Augen sich zu milchigem Braun verdunkelten. »Du siehst ebenso wenig maurisch aus wie ich. Ein Blick in unsere Gesichter – und sie wissen sofort, wen sie vor sich haben!«
»Dazu darf es eben erst gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher