Die Nacht von Granada
niemandem!«, rief Nuri ängstlich. »Das musst du mir versprechen. Mama hat schon genug auszuhalten! Und wenn ich nur an den strengen Blick von Tante Pilar denke …«
»Das muss ich doch gar nicht«, erwiderte Djamila. »Eure seligen Gesichter verraten euch ohnehin.«
Als Lucia erwachte, war es stockdunkel. Kälte war ihr unter die lausigen Decken gekrochen, hatte ihre Glieder ganz hart und steif gemacht. Sie erhob sich vorsichtig und berührte behutsam den Boden, um ja nicht wieder mit einem der pelzigen Scheusale in Kontakt zu kommen.
Dann tastete sie nach dem Krug.
Vorsichtig hob sie ihn an die Lippen, ließ das Wasser lange im Mund, bevor sie es schluckte.
Hatte sie vorhin noch geschimpft, es sei brackig? Auf einmal erschien es ihr köstlich und rein.
Danach kam der Napf an die Reihe. Der Löffel fuhr in den Getreidebrei, sie schob ihn in den Mund, kaute, schluckte. Und wenn die Ratten hundertmal daran genagt hatten – was scherte es sie?
Sie wollte trinken und essen, um zu überleben.
Und sie würde überleben – so lange, bis jemand kommen würde, um sie aus diesem Albtraum zu befreien.
Mit dieser Hoffnung im Herzen schien nicht einmal die Pritsche, auf der sie sich erneut zusammenrollte, so hart und schmal wie zuvor.
Lucia schloss die Augen.
Hinter ihren Lidern wurde es hell.
Rashid, dachte sie, Liebster! Wo bist du?
11
D en Inquisitor in ihre Gewalt zu bekommen, war einfacher gewesen als befürchtet. Sei es, dass Lucero in seinem Machtrausch sich leichtsinnigerweise in trügerischer Sicherheit gewiegt hatte, sei es, dass er zu viele seiner Rotkappen zur Bücherverbrennung geschickt hatte – vor dem stolzen, zweistöckigen Haus nahe der Baustelle, wo bald schon die riesige neue Kathedrale in den Himmel wachsen würde, waren lediglich noch zwei der fremdländischen Söldner postiert.
Die Söhne Allahs, ganz in Schwarz, erledigten die beiden im Handstreich von hinten, auch wenn es nur ein kleiner Trupp war, denn es hatte heißen Streit zwischen Zegri und Rashid gegeben. Ersterer verlangte die Blutrache an allen Christen, die sich gegen die Mauren Granadas gewandt hatten; Letzterer bestand auf dem Vorrang der Befreiung von Kamal und Lucia. Als nichts mehr helfen wollte, kam es schließlich zur Abstimmung: Ganze sechs Männer traten hinter Rashid, während all die anderen sich eng um Zegri scharten, um ihm nachzufolgen.
Eine bittere Niederlage und ein empfindlicher Schlag zugleich für den Stolz des jungen Kriegers, aber Rashid hatte dennoch versucht, sich nach außen hin nichts anmerken zu lassen. Deshalb war es für ihn nun eine Genugtuung, wie schnell und problemlos sie in das Haus des Inquisitors eingedrungen waren.
Sie fanden ihn in seinem Arbeitszimmer, am Tisch, vor einem Stapel Pergamente, die Hände vom flackernden Kaminfeuer gewärmt.
»Wer seid ihr?«, fragte Lucero fassungslos, bevor ihn ein Schlag gegen die Schläfe tief ins Reich der Träume verbannte.
Sie fesselten ihn, zogen ihm einen Sack über den Kopf und banden ihn wie ein Bündel Heu auf eines der Maultiere, das sie bei Einbruch der Nacht konfisziert hatten.
Danach ging es mit der wertvollen Beute den steilen Weg hinauf zur Alhambra.
Ein ganzes Stück vor der Puerta de la justicia machten sie halt, luden den noch immer Bewusstlosen ab, lösten seine Fesseln und brachten ihn mit einem ordentlichen Schwall eiskalten Wassers wieder zur Besinnung.
»Wo bin ich?«, stammelte er, verschloss allerdings schnell wieder den Mund, als er in lauter dunkelhäutige Gesichter blickte, die sich wie Wüstenkrieger schwarze Tücher bis über die Nase gezogen hatten.
»Noch nicht ganz da, wo wir dich haben wollen«, sagte Rashid. »Du hast jetzt genau zwei Möglichkeiten: Entweder du gehst durch dieses Tor und lässt uns hinein, ohne uns den Wachen zu verraten – oder wir schneiden dir auf der Stelle die Kehle durch!«
»Ich beuge mich eurer Übermacht«, erwiderte Lucero, ohne eine Miene zu verziehen. »Wenngleich unter Protest. Gehen wir!«
Die beiden Männer, die das Tor bewachten, schienen erstaunt über den seltsamen Trupp, der da mitten in der Nacht Einlass begehrte, doch nach dem Befehl Luceros ließen sie sie passieren.
»Jetzt!«, sagte Rashid knapp, nachdem sie die Mauer hinter sich gelassen hatten. Vier der Söhne Allahs kehrten um, stürzten sich auf die Wächter, fesselten und knebelten sie.
»Was willst du?«, fragte Lucero. Im Mondlicht schienen seine Augen zu flackern und zum ersten Mal entdeckte Rashid eine Spur
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