Die Nacht von Granada
Sinnen den Glanz des nächtlichen Sternenhimmels zu genießen. Der Allmächtige hat eine Welt voller Schönheit geschaffen. Allein wir Menschen sind es, die sie zu einem unwirtlichen Ort machen.«
Seine Züge verschlossen sich. Die gewohnte Strenge war zurück.
»Und jetzt lass mich allein. Ich möchte mich erneut ins Gebet versenken.«
Wo steckte Rashid?
Dass ihr Vater sich wortkarg in die Werkstatt zurückgezogen hatte, wo er sicherlich die nächsten Stunden verbringen würde, nützte Lucia als willkommene Gelegenheit, um so schnell wie möglich das Haus zu verlassen. Ob Djamila ihr etwas hinterherschrie, war ihr im Augenblick einerlei. Die verweinten Augen der jungen Maurin jedenfalls konnten nichts mit ihr zu tun haben, so viel stand fest.
Unwillkürlich schlugen ihre Beine den Weg zum Fluss ein, und es dauerte nicht lange, und sie stand erneut vor der kleinen Schänke. Ein paar Männer saßen drinnen, Gläser mit Minztee vor sich, redeten und würfelten.
Von Rashid keine Spur.
Enttäuschung stieg in ihr hoch, doch Lucia erlaubte dem bitteren Gefühl nicht, sich gänzlich in ihr breitzumachen.
So einfach ist es eben nicht, dachte sie und presste die Wange fest an den rauen Stamm der Pappel. Kann es ja gar nicht sein! Denn wenn ich ihn so leicht finden würde, dann könnten es sicherlich auch seine Verfolger.
Doch was sollte sie jetzt tun?
Unschlüssig starrte Lucia weiter auf das niedrige Gebäude, aus dem nur ein paar Augenblicke später ein junger Mann trat.
Ein junger Mann in Rashids Alter! Ob er sie vielleicht zu ihm führen würde?
So unauffällig wie möglich folgte sie ihm, stets in der Angst, er könnte sich umdrehen und sie entdecken. Doch der Unbekannte lief unbeirrt in raschem Tempo weiter, einem Ziel zu, das sie nicht kannte.
Irgendwann blieb er vor einer offenen Schuhwerkstatt stehen.
»Da bist du ja endlich«, rief ihm ein Weißbart in ärgerlichem Tonfall entgegen. »Dass mein werter Sohn sich auch mal herbemüht, welch ein Wunder! Nimm den Hammer und leg endlich los. Unsere Kunden hassen es, zu warten.«
Ein junger Schuster, der von seinem Vater ausgeschimpft wurde!
Mit hängenden Schultern ging Lucia zurück zur Schänke. Ob sie aufgeben sollte?
Sie war kurz davor, als sie sah, wie ein zweiter Mann die Schänke verließ. Er war beleibt, um einiges älter und schien es nicht eilig zu haben. Ihn zu verfolgen, erwies sich trotzdem als schwierig, denn er blieb zwischendrin immer wieder stehen, musterte Häuser und Eingänge, als gäbe es an ihnen etwas besonders Interessantes zu entdecken, um dann plötzlich weiterzuschlendern.
Lucia wünschte aus ganzem Herzen, sie könnte sich unsichtbar machen, denn der Mann führte sie tief in die schmalsten und dunkelsten Gassen. Plötzlich wusste sie, wo sie gelandet war: im ehemaligen Judenviertel, in dem sich mittlerweile zahlreiche Mauren angesiedelt hatten, seitdem die stattlichen Häuser leer standen. Der Vater hatte sie einmal hierher gebracht und ihr gezeigt, wo Mama und Tante Pilar gewohnt hatten, als sie noch kleine Mädchen gewesen waren. Das Haus war blau angestrichen gewesen, geschmückt mit Ranken blühender Bougainvillea, die wie ein glühender Duftteppich über die Mauern gekrochen waren. Sein Anblick hatte eine Sehnsucht in ihrem Herzen geweckt, gegen die nur schwer anzukommen war, und in unzähligen Träumen war das blaue Blütenhaus Lucia seitdem erschienen …
Der Maure war verschwunden.
Verblüfft blieb sie stehen. Wie sollte sie von hier aus wieder zurückfinden?
Zu weiteren Gedanken blieb ihr keine Zeit, denn mit einem Mal war Lucia gleich von drei Bärtigen umringt, die sie an den Armen packten und auf sie einschrien. Eine nicht enden wollende Flut arabischer Schimpfworte ergoss sich über sie, während die Männer an ihr zerrten und zogen, dass ihr schier der Atem schwand.
»Lasst mich los!«, rief Lucia angsterfüllt. »Ich hab euch doch nichts getan!«
»Diese Christenhure verdient einen Schlag auf den Kopf«, rief der jüngste der Männer, der am brutalsten vorging. »Und dann ab mit ihr ins Loch, so lange, bis sie sich nicht mehr rührt!«
»Lieber fesseln und gleich in den Fluss werfen«, schlug der Zweite vor. »So wird man Spione für immer los!«
Lucia nahm alle Kraft zusammen und stieß einen spitzen Schrei aus. Ein paar Fensterläden flogen auf.
Sonst rührte sich nichts.
»Wenn du nicht gleich damit rausrückst, was du hier willst, werden wir dich zum Reden bringen.« Der Mann, den sie verfolgt
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