Die Nacht von Granada
bislang also erspart geblieben. Dafür ist er jetzt auf der Flucht. Und wenn sie ihn finden …« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
»Hat man euch registriert?«, wollte Antonio wissen.
Kamal nickte. »Beim Hinausgehen. Auf ellenlangen Listen. Jetzt wissen sie genau, wen von welcher Familie sie bereits erwischt haben. Und ich könnte wetten, sie werden nicht lange zögern, die noch ausstehenden Familienmitglieder ebenfalls unter ihre Taufe zu zwingen. So lange, bis auch der letzte Moslem aus Granada verschwunden ist.«
Der Goldschmied blieb stehen und rang nach Luft.
»Ich verstehe das alles nicht«, sagte er kopfschüttelnd. »Das steht doch in krassem Gegensatz zu den Predigten von Erzbischof Talavera. Und auch Padre Manolo hat uns immer wieder hoch und heilig versichert …«
»Dein blasser kleiner Priester war gestern ebenfalls mit von der Partie«, unterbrach ihn Kamal. »Elend sah er aus, kreidebleich und verstört, als wäre sein letztes Stündlein angebrochen, aber hat er auch nur einem einzigen Mauren geholfen? Hat er nicht!«
»Was willst du jetzt tun?«, fragte Antonio.
»Da gibt es vor allem eine Frage, die mich quält.« Kamals Augen, die sich bohrend auf ihn hefteten, waren tiefschwarz. »Wer oder was hat sie dazu veranlasst, die Zwangstaufe vorzuverlegen? Ich weiß von Rashid, dass sie eigentlich für später geplant war.«
»Wieso fragst du das ausgerechnet mich?«, stieß An tonio hervor. »Ich hab doch von allem nicht die geringste Ahnung!«
»Immerhin bist du der Einzige, dem ich anvertraut habe, dass mit heftigem Widerstand von muslimischer Seite zu rechnen sei. Gibt es da vielleicht etwas, das du mir sagen möchtest, alter Freund?«
Eine Weile blieb alles stumm.
Als Antonio schließlich zu sprechen begann, war seine Empörung nicht zu überhören.
»Du hältst mich für einen Verräter, der Freunde hinhängt und in Gefahr bringt? Denkst du das wirklich, Kamal?«
»Vielleicht geschah es ja nur aus Versehen …«
»Für einen Verräter und Idioten – das wird ja immer besser!«, rief Antonio in seiner Muttersprache, inzwischen dermaßen aufgebracht, dass der andere ihn hastig in einen Torbogen zog, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen. »Keinem Menschen hab ich auch nur das Geringste gesagt. Alles, was du mir anvertraust, bleibt tief in meinem Herzen versenkt. Seit jeher. Das solltest du eigentlich wissen!«
»Aber wie kamen sie dann darauf, den Zeitpunkt vorzuverlegen?«, fragte Kamal. »Eigentlich halte ich es ja auch für ausgeschlossen, dass du etwas damit zu haben sollst, aber fragen musste ich! Verzeih, dass ich dich gekränkt habe! Doch welch andere Möglichkeiten gibt es sonst noch?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Antonio. Er spürte, dass die Verzweiflung seines Freundes fast mit Händen zu greifen war. »Allerdings trägt jeder geheime Plan den Keim des Verrats bereits in sich, das solltest du nicht vergessen. Mir kannst du rückhaltlos vertrauen, in allem – aber kann dein Sohn das auch von seinen Kumpanen behaupten? Sich gegen das Bündnis von Staat und Kirche aufzulehnen, ist lebensgefährlich!«
»Was sollen sie nur anfangen, wenn all ihre Träume zerstört sind, Antonio?« Jetzt schimmerten Tränen in Kamals dunklen Augen. »In welche Zukunft schicken wir unsere Söhne – ohne Hoffnung, ohne Gnade?«
»Du musst ihm zeigen, dass es einen Ausweg gibt.« Antonio schaffte es, überzeugter zu klingen, als ihm ei gentlich zumute war. »Sei sein Halt, sein Vorbild. Rashid braucht dich jetzt!«
Seine eindringlichen Worte schienen Wirkung zu zeigen, denn auf einmal nickte Kamal. »Deshalb bin ich ja auch auf dem Weg zum Imam«, sagte er leise. »In meinem besten Gewand. Um ihn um Rat zu bitten. Vielleicht weiß er ja eine Antwort.«
Während Antonio zurück zur Werkstatt lief, setzte Kamal seinen Weg umso entschlossener fort. Nur noch ein paar Biegungen, dann stand er vor dem bescheidenen Haus von Hasan bin Ali, der früher in der großen Moschee das Freitagsgebet gesprochen hatte. Niemand hatte ihn jemals klagen hören, dass er nun in kargen Räumen heimlich die Gläubigen um sich versammeln musste. Doch im ganzen Albaycín war es wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund gegangen, dass er bitterlich wie ein Kind geweint hatte, als man die stolzen Mauern vor seinen Augen eingerissen hatte.
Als hätte der Imam ihn bereits erwartet, wurde ihm nach kurzem Klopfen von einer tief verschleierten Frau geöffnet, die ihn nach drinnen führte. Zum Glück war der
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