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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Gelehrte in seinem Studierzimmer allein, umgeben von übereinandergelagerten Schriftrollen und vergilbten Folianten, mit denen so gut wie jeder freie Platz belegt war. Leer getrunkene Teegläser auf einem bunten Tablett zeigten, dass er bereits Besuch gehabt hatte.
    Aber es roch nicht nur nach Minze. Da gab es noch ein anderes Aroma, das in der Luft hing, stark und bitter, und Kamal unwillkürlich mehr Speichel auf die Zunge trieb.
    »Du bist schon der Zehnte heute«, sagte Hasan mit einem kleinen Seufzer. »Mindestens! Alles Muslime, die weder ein noch aus wissen, weil man sie um jeden Preis zu Christen machen will. Ich nehme an, das ist auch das Anliegen, das dich zu mir geführt hat?«
    Kamal nickte. »Eines meiner Anliegen«, sagte er. »Aber ich muss dich dringend noch in einer zweiten Sache um Rat fragen.«
    »Dann lass uns mit dem ersten beginnen«, sagte der Imam. »Die Lage in Granada ist ernst, ja geradezu brenzlig. Unserer Kenntnis nach ist die Zeit der Duldung unseres Glaubens durch die Christen vorbei. Egal, was schriftlich vereinbart wurde – ab jetzt werden die Katholischen Könige und ihre Helfershelfer mit allen Mitteln gegen die Söhne Allahs vorgehen.«
    »Was ich gestern am eigenen Leib erleben musste«, rief Kamal. »Der Prophet stehe mir bei!«
    »Du warst also auch unter jenen Unglücklichen von San Nicolás?«
    »Ihr Weihwasser hat meinen Arm verbrannt. Meine Seele jedoch blieb unberührt«, erwiderte Kamal. »Ich fühle und denke, wie ich immer gedacht habe. Ich verehre den Propheten. Und bin ein treuer Diener des Koran*.«
    »Das solltest du beibehalten – tief drinnen!« Die Stimme des Gelehrten klang eindringlich. »Doch lass sie nach außen hin nichts davon merken. Sonst werden die Christen dich ihre Rache spüren lassen.« Er zog den einfachen Wollmantel enger um sich, als ob er frösteln würde.
    Jetzt erst fiel Kamal auf, dass Hasan nicht die grün-weiße Kappe des Vorbeters* trug, sondern einen hohen roten Filzhut, der sich zur Spitze hin verbreiterte und unter dem sein weißes Haar hervorquoll. Ihm kam in den Sinn, was andere über den weisen Mann gesagt hatten. Dass er zu einem strengen Orden gehöre, der spezielle Tänze zelebriere, um Gott besonders nah zu sein. Und dass seine ursprüngliche Heimat ein Land weit im Osten sei, unweit der Geburtsstätte des Propheten.
    »Ich soll also heucheln?«, rief Kamal. »Nach außen hin tun, als wäre ich Christ, und heimlich Moslem bleiben – das rätst du mir?«
    »Im Augenblick weiß ich keine andere Lösung. Was ich dir eben gesagt habe, das habe ich auch schon deinen Brüdern empfohlen. Der Koran duldet diese List in schwierigen Zeiten, vorausgesetzt, Herz und Seele bleiben ganz bei der Lehre des Propheten. So kannst du dein Leben retten – und das deiner Familie.«
    Hasan wischte sich die Stirn mit einem weißen Tuch ab.
    »Unser aller Tod käme ihnen äußerst gelegen«, fuhr er fort. »Diesen Gefallen sollten wir ihnen nicht erweisen. Nur wenn wir überleben und unsere Kinder mit uns, können die Söhne Allahs eines Tages das Ruder erneut herumreißen.«
    Kamal suchte nach den richtigen Worten. Doch wie sollte er seine tiefe Sorge um Rashid ausdrücken, ohne zu viel preiszugeben?
    »Was aber, wenn einige von uns dagegen aufbegehren?«, sagte er schließlich. »Und sogar zu den Waffen greifen, um sich zu wehren? Wie beurteilst du das? Verstoßen sie damit gegen Allahs Gebot?«
    »Das war deine zweite Frage?« Zwischen den weißen Brauen Hasans stand auf einmal eine steile Falte.
    Kamal nickte hastig.
    »Es gibt den Heiligen Krieg«, sagte der Imam. »In unseren Schriften ist davon die Rede. Doch die richtige Zeit dafür ist noch nicht angebrochen. Wir sind den Christen unterlegen, haben zu wenige Waffen und vor allem keine überzeugende Strategie. Der Koran hält nichts davon, Leben leichtsinnig zu verschleudern. Ein gläubiger Moslem muss wissen, wann es sich zu kämpfen lohnt, und wann es besser ist, in Deckung zu bleiben.«
    Sein Blick wurde plötzlich weich.
    »Richte das deinem rebellischen Rashid aus«, fügte er leise hinzu. »Mit einem besorgten Gruß von mir. Und auch, dass wir solche jungen Männer wie ihn brauchen. Ohne sie wäre unsere Zukunft keine blühende Oase, sondern wüst und leer.«
    Er langte neben sich, nahm einen Stoffbeutel und drückte ihn Kamal in die Hand.
    »Das ist qavah * – eine ganz besondere Medizin. Falls es nötig werden sollte, wird sie ihm helfen, den Schlaf zu meiden und stattdessen bei wachen

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