Die Nacht von Granada
ich bin gekommen, um die Menschen zu entzweien … So und nicht anders sind uns die Worte des Heilands in der Bibel überliefert. Und durch Feuer und Schwert soll auch das schöne Granada endlich wieder rein werden.«
Die Königin schaute schweigend von einem zum anderen, während Lola plötzlich ihr Interesse für den Graben zu entdecken schien. Zu Kamals Entsetzen machte sie Anstalten, zu ihm hinunterzusteigen. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als sich widerwillig aus seiner Starre zu lösen. Er schüttelte den Kopf und begann abwehrend mit den Armen zu rudern, was sie offenbar für ein köstliches Spiel zu halten schien, denn sie lachte plötzlich hell auf.
Der Kopf der Königin fuhr herum. Würde sie Kamal jetzt entdecken?
Dann jedoch schaute Isabella wieder nach vorn.
»Sogar meine Zwergin lacht Euch aus«, sagte sie in scharfem Ton zu den Erzbischöfen. »Und dazu hat sie wahrlich jeden Grund. Mit Euch wurden zwei kluge Männer in die höchsten kirchlichen Ämter meines Reiches erhoben – wenigstens war ich bislang dieser Meinung. Schafft mir also endlich das Problem vom Hals, das mir schlaflose Nächte bereitet und den Appetit raubt.« Ihre Stimme wurde schneidend. »Ich bin schon so oft im Leben enttäuscht worden – reiht nicht auch Ihr Euch noch in diese endlose Reihe ein. Ihr wisst beide, wie abgrundtief ich es hasse, enttäuscht zu werden!«
Die Hofnärrin stand noch immer am Rand des kleinen Grabens und starrte wie gebannt zu Kamal hinunter.
»Komm, Lola«, rief die Königin, genau so, wie man ein ungehorsames Hündchen zur Ordnung ruft. »Unser Frühstück wartet!«
Es dauerte eine ganze Weile, bis das Schlagen seines Herzens wieder ruhiger geworden war. Dann jedoch genoss Kamal das Prickeln in Armen und Beinen, die neu erwacht schienen, und selbst der kühle Wind, der ihm um die Ohren strich, erschien ihm auf einmal wie eine Liebkosung.
Seine Gedanken flogen zu Saida.
Wie anmutig und liebenswert sie in all den langen Ehejahren geblieben war! Und welch wunderbare Kinder sie ihm geschenkt hatte. Eine wilde, verzweifelte Liebe zu seiner Familie erfasste ihn, angesichts der Angst, dass er bald für immer von ihr getrennt werden könnte. Am liebsten hätte er auf der Stelle alles stehen und liegen lassen, um hinunter ins Albaycín zu laufen und sie an sein heißes Herz zu drücken.
Stattdessen nahm er widerwillig die Schaufel zur Hand und machte sich daran, die Schubkarre randvoll mit welken Blättern zu füllen, um sie zum Komposthaufen zu bringen, wie Salzedo ihm befohlen hatte.
Niemand im Hamam beherrschte die Kunst des Seifenschlagens so perfekt wie die dicke Lissa. Die stämmige Badefrau quirlte so lange, bis sahniger, cremeweißer Schaum über den Rand der Schüssel quoll. Danach vermengte sie ihn mit einem Schuss Salz und begann, die wartenden Frauen von Kopf bis Fuß damit einzuseifen.
Djamila und Nuri, die die Prozedur bereits hinter sich hatten, inzwischen mit sauberem Wasser abgespült worden waren und, in weiche Tücher gehüllt, die entspannende Wärme der Fliesen genossen, mussten lächeln, als Lucias lautstarke Proteste ertönten.
»Du reibst mir ja die ganze Haut ab!«, schrie sie empört. »Und musst du mir auch noch die Ohren abreißen?«
»Muss ich!«, gab Lissa ungerührt zurück. »Weil du nämlich schmutziger bist als ein Eselfohlen, das sich im Dreck gewälzt hat. Wie lange hast du dich hier nicht mehr blicken lassen? Das müssen Wochen sein, Lucia, wenn ich es recht in Erinnerung habe!«
Wie immer übertrieb die Badefrau – und doch steckte in ihren Worten ein Körnchen Wahrheit. Früher hatte der regelmäßige Besuch des Hamam an Saidas und Nuris Seite zu Lucias Alltag gehört, während Djamila es stets vorgezogen hatte, allein ins Badehaus zu gehen, sobald ein Frauentag angekündigt war, der Männern das Betreten des Badehauses verbot. Doch seitdem die muslimischen Gebräuche mehr und mehr aus dem Leben Granadas verschwanden, hatte sie viele Gründe gefunden, die dagegen sprachen, und es immer wieder auf später verschoben.
Wie dumm das gewesen war, spürte Lucia jetzt. Die Haut prickelte vor Sauberkeit, die Wärme entspannte den ganzen Körper, und der Duft verschiedenster Öle, mit denen die Frauen sich gegenseitig eingerieben hatten, hing wie eine liebliche Wolke über allem.
Ein paar der Nachbarinnen hatten Süßigkeiten wie kandierte Feigen oder Pistazienkuchen mitgebracht, die nun die Runde machten; andere schenkten Tee oder verdünnten Granatapfelsaft
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