Die Nacht von Granada
kommen.
Kamal hatte kaum die Werkstatt betreten, da stand schon Gaspar neben ihm. Sein Erschrecken war so groß, dass ihm beinahe die Waagschale aus der Hand geglitten wäre, die er gerade hatte einsetzen wollen.
»Da bin ich wieder!« Die feisten Hängebacken zitterten in freudiger Erregung. »Jetzt lass endlich sehen!«
Antonio, der gerade aus seinen Wohnräumen kam, machte auf der Treppe einen unbeholfenen Schritt vorwärts. Dabei knickte er aus Versehen auf der letzten Stufe um und stieß einen Schrei aus.
»Pass bloß auf, alter Freund!«, rief Gaspar leutselig, während Antonio sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den verletzten Knöchel rieb. »Komm her, damit wir uns gemeinsam an dem edlen Stein erfreuen können.«
Kamal hatte sich rasch umgewandt, um seine Gesichtszüge wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bringen.
»Ich fürchte, das wird nicht gehen«, murmelte er.
»Was soll das heißen?« Gaspars Stimme war plötzlich scharf geworden. »Dass du mich erneut vertrösten willst? Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Du musst ihn verstehen«, schaltete sich nun Antonio ein, der kreidebleich geworden war und schneller sprach, als es sonst seine Art war. »Ein Meister wie Kamal mag nun mal keine halben Sachen. Erst wenn der Stein fertig ist …«
»Und das ist er noch immer nicht?«, fiel Gaspar ihm ins Wort. »Weshalb? Gibt es etwa Schwierigkeiten, von denen ich nichts weiß? Dann frank und frei heraus damit!«
Kamal und Antonio schüttelten beklommen den Kopf.
In diesem Augenblick betrat Lucia die Werkstatt, die auf einem Tablett die Kanne mit dem Salbeitee und eine Platte süß duftender Hanfküchlein brachte, die Djamila für die Männer als Stärkung bereitet hatte.
Ihr Vater – blass wie ein frisch gebleichtes Leintuch!
Kamal, der auf einmal die hängenden Schultern eines Greises hatte. Und dann dieser Glatzkopf, dessen Beichte sie ungewollt in San Nicolás belauscht hatte!
Wieso starrte er sie an wie eine Erscheinung? Erinnerte er sich ebenfalls an sie?
»Meine Tochter Lucia«, sagte Antonio in gezwungenem Tonfall, als kostete ihn jedes Wort Überwindung. »Und das ist Seňor Gaspar Ortíz.«
»Du hast wahrlich die Schönheit deiner Mutter geerbt.« Seine metallischen Augen musterten sie von Kopf bis Fuß. »Aber was sollte man von Mi…, ich meine, von Marias einziger Tochter auch anderes erwarten?«
Erneut drehte er sich zu Kamal um.
»Der Stein«, sagte er drohend. »Ich warte!«
Sein plumper Körper wirkte wie ein massiger, vor Urzeiten erstarrter Berg. Die Hände allerdings verrieten ihn. Unruhig fuhren sie hin und her, ergriffen schließlich seine Kopfbedeckung, die er sich beim Eintritt wie gewohnt vom Haupt gerissen und auf die Werkbank geworfen hatte, drückten und kneteten sie.
Das schwarze Barett!
Lucia konnte auf einmal kaum noch schlucken. Dieses Mal sind Hanas Geschichten nicht in den Himmel gewachsen, dachte sie. Jedes Wort, das sie im Hamam gesagt hat, ist wahr.
Wieso war sie nicht gleich zum Vater gerannt und hatte ihn vor diesem Mann gewarnt? Nie mehr im Leben würde sie auf einen Ratschlag von Djamila hören!
»Du wirst den Hyazinth zu Gesicht bekommen, sobald er gänzlich umgeschliffen ist.« Kamals Antwort klang hohl. »Wieso auf einmal diese Eile? Bis zum Christfest sind es noch Wochen hin.«
»Aber der Inquisitor wird langsam ungeduldig!«, rief Gaspar. »Jeden Tag fragt er mich nach seinem Ring. Ihr kennt Rodriguez Lucero nicht, sonst wüsstet ihr, was das bedeutet. Schon jetzt ist er wie ein wütender Stier, der mit seinen Hörnern gegen das Gitter stürmt. Ihn rasend zu machen, wäre mehr als gefährlich!«
Die beiden Freunde sahen sich schweigend an.
»Dein Stier wird trotzdem warten müssen«, sagte Antonio und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken, um ihr Zittern zu verbergen. »Wir liefern nichts Unvollständiges. Das ist Kamal allein schon seinem Ruf schuldig.«
»Von dem niemand etwas erfahren darf. Worauf wir alle uns geeinigt hatten! Wenn ihr zwei mich zu betrügen versucht …« Gaspars Stimme drohte zu kippen.
»Niemand hier will dich betrügen«, versicherte Antonio und wurde noch eine Spur bleicher. »Unser Handel gilt. Du kannst dich darauf verlassen.«
Gaspar bedeckte seinen blanken Schädel mit dem schwarzen Barett.
»Sieh zu, dass der Saphir endlich fertig wird«, sagte er. »Beim nächsten Mal bringe ich Verstärkung mit. Darauf könnt ihr euch verlassen.«
Schon halb im Gehen begriffen, glitt sein Blick noch einmal zu
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