Die Nacht von Granada
verlassen zu können, um bloß nicht auf Gaspar Ortíz und seine bohrenden Fragen zu treffen, für die er keine Antworten hatte! Doch was sich hier anbahnte, erschien ihm mindestens ebenso schlimm.
Zum Glück fiel er niemandem auf – er war nichts als ein maurischer Tagelöhner unter anderen, die sich um die Pflege der Generalife zu kümmern hatten. Keiner der beiden geistlichen Würdenträger dort auf dem Hauptweg verschwendete an ihn auch nur einen Blick.
»Wie kommt Ihr dazu, die von mir angeordnete Taufe einfach abzusagen?«, schäumte Erzbischof Cisneros, trotz der kühlen Morgenluft in einer schäbigen Kutte und barfüßig in abgetretenen Sandalen. »Alles war bereits für das Jubelfest gerüstet!«
»Das nennt Ihr ein Fest?« Erzbischof Talavera, in eine schwarze Wollrobe mit rotem Zingulum* gehüllt, die Schultern von einem breiten Hermelinumhang gewärmt, kam in seinen genagelten Stiefeln schneller und vor allem sicherer auf dem rutschigen Untergrund voran. »Meine Mauren wie Vieh zusammentreiben zu lassen, um sie dann mit Weihwasser zu besprengen? So werdet Ihr doch niemals aufrichtige Christen aus ihnen machen! Zum Glück habe ich treue Gefolgsleute, die mich rechtzeitig warnen konnten.«
Vor ihnen erstreckten sich die schmalen Wasserbecken, kreuzförmig angelegt, an beiden Seiten von Büschen begrenzt, an denen die letzten Rosen in der aufsteigenden Kühle gerade ihre leuchtenden Blütenblätter verloren. Das Plätschern der Springbrunnen und vereinzeltes Vogelzwitschern verliehen dem Garten eine heimelige, ja geradezu intime Atmosphäre, die im krassen Gegensatz zu der aufgeladenen Stimmung zwischen den beiden Bischöfen stand.
»Ganz Spanien soll endlich ein katholisches Land sein. So und nicht anders lautet der Auftrag, den die Königin mir erteilt hat – und ich werde ihn bis zum letzten Atemzug treu erfüllen!«, rief der Erzbischof.
»Aber doch nicht mit Eisen und Blut, was wiederum nichts als neues Leid gebiert! Unser Herr Jesus hätte niemals gewollt, dass …«
»Sagt Ihr mir nicht, was Christus wollte!« Erzbischof Cisneros schien endgültig die Welt um sich herum vergessen zu haben und sprach jetzt so laut, dass Kamal sich unwillkürlich duckte, als wollte er förmlich in das Laub kriechen. »Was maßt Ihr Euch an? Ausgerechnet mir gegenüber, der mehr für Jesus Christus brennt, als Ihr Euch je vorstellen könnt.« In einer dramatischen Geste riss er sich die Kutte von der mageren Brust.
Talavera blieb äußerlich unbewegt, als vor seinen Augen die blutverkrusteten Male zur Schau gestellt wurden, die unzählige Selbstgeißelungen auf dem bleichen Fleisch hinterlassen hatten. Erzbischof Talavera wirkte ausgelaugt und müde, wie ein alter Mann, dem die Zeit davonlief. Trotzdem bot er Cisneros die Stirn.
»Zu einem guten Hirten gehört weit mehr, als sich in glühender Gottesliebe zu verzehren«, entgegnete er. »Er sollte seiner Gemeinde nicht nur Vater sein, sondern auch Bruder und Freund, Ängste und Mühseligkeiten mit ihr teilen, ohne gleich beim kleinsten Vergehen strafend den Finger zu erheben. Menschen sind nun einmal sündig und fehlbar, egal, ob sie einen Bischofsring am Finger tragen oder tagtäglich auf dem Markt Gewürze verkaufen. Dass ich mir dies immer wieder aufs Neue bewusst mache, hilft mir, nicht zu verurteilen, sondern zu verstehen und zu vergeben. So jedenfalls habe ich mein Amt bislang verstanden und werde es auch künftig nicht anders handhaben.«
»Allerdings habt Ihr dabei etwas Wesentliches übersehen. Denn das griechische Wort ›Bischof‹ bedeutet auch Vorsteher und Wächter«, wandte Cisneros ein. »Vielleicht hat die Königin ja deshalb mich statt Euch zu ihrem Beichtvater bestellt.« Aus seinen schmalen Augen loderte blanker Hass. »Weil sie Eure Saumseligkeit satthat. Und endlich Ergebnisse sehen will. Die Taufen werden nachgeholt – so wahr ich der Erzbischof von Toledo bin.«
»Ich habe dieses Privileg, Beichtvater der Königin zu sein, freiwillig aufgegeben. Außerdem befinden wir uns in Granada, falls Ihr das vergessen haben solltet – in meiner Stadt.« Die Stimme Talaveras blieb ganz ruhig. Nur beim genauen Hinhören konnte man die Schärfe ausmachen, die in ihr lag.
Kamal, der nicht wagte, die zusammengerechten Blätter in den Karren zu schaufeln, um nicht doch noch Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bekam plötzlich Gänsehaut am ganzen Körper, als der Kirchenmann weitersprach.
»Und diese Stadt werde ich weiterhin als geistlicher Hirte
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