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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Lucia, und sie fühlte sich gemustert und taxiert wie eine Stute auf dem Pferdemarkt, die seit dem Morgengrauen vergeblich auf einen Käufer wartet.
    »Ich mag Euer Barett, Seňor Ortíz«, entfuhr es ihr. »So ein schönes Exemplar sieht man nur selten in Granada.«
    Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Eine Welle heftiger Übelkeit stieg in Lucia empor, so groß war ihre Abneigung.
    Für einen Augenblick wurde sein feistes Gesicht miss trauisch, dann aber kehrte der selbstgefällige Ausdruck zurück.
    »Eine feine Arbeit aus Toledo«, sagte er. »Dort, wo christliches Handwerk schon seit Jahrhunderten gepflegt wird.« Er verschwand endlich nach draußen.
    »Das war alles andere als klug, Tochter.« Antonios Bass verriet seine Erschöpfung. »Sich ausgerechnet diesen Mann zum Feind zu machen! Er hat uns in der Hand. Mehr, als du dir vielleicht vorstellen kannst. Wir dürfen ihn nicht unnötig gegen uns aufbringen.«
    »Wie recht er hat«, pflichtete Kamal ihm bei. »Ein junges Ding wie du kann vielleicht noch nicht begreifen, wozu solche Menschen fähig sind.«
    Lucia holte tief Atem. »Als ob ich das nicht wüsste!«, rief sie. »Dieser gemeine, hinterlistige Verbrecher! Bei Padre Manolo hat er bereits gestanden.«
    Beide Männer starrten sie verständnislos an.
    »Ihr werdet gleich begreifen. Dazu müsst ihr mir jetzt allerdings aufmerksam zuhören«, verlangte Lucia. »So lange, bis ich mit allem zu Ende bin.«
    Jeden einzelnen Fußbreit von San Nicolás kannte Padre Manolo auswendig, als hätte er das schmale Gotteshaus mit seinem eigenen Leib ausgemessen. Stets hatte er sich hier zu Hause gefühlt, auch wenn seit dem letzten nassen Winter an der Nordseite der Schimmel blühte, für dessen gründliche Beseitigung ihm die Mittel fehlten, und die bunten Glasfenster, die das heilige Leben der Himmlischen Jungfrau Maria preisen sollten, mit hässlichem Flickwerk durchsetzt waren.
    Heute jedoch kam er sich hier zum ersten Mal wie ein Fremder vor. Schuld daran war jener Mann, der sich hartnäckig an seine Seite geheftet hatte und so selbstbewusst neben ihm ausschritt, als wäre er der heimliche Herr des heiligen Ortes. Ausnahmsweise trug er kein militärisch anmutendes Lederwams und Beinkleider, sondern ein langes, schlicht geschnittenes Gewand, eine Mischung zwischen Priestersoutane und Bischofsornat.
    »Ihr müsst ein glücklicher Mann sein«, hörte Manolo ihn sagen. »Euer Gotteshaus erscheint mir wie ein Adlerhorst, von dem aus Ihr alles fest im Blick habt – die Stadt, die Rote Burg, den Darro. Was wollt Ihr mehr?«
    »Ich bin durchaus zufrieden, wenn auch meine Augen lieber auf andere Dinge schauen«, erwiderte der Padre. »Nach innen. In die Herzen der Menschen. Denn was es dort zu entdecken gibt, erscheint mir seit jeher als das größere Wunder.«
    »Trefflich geantwortet!« Der Inquisitor lachte kurz auf. »So ist es also richtig, was man von Euch behauptet: dass Ihr die Weisheit der Schlangen besitzt – gemischt mit der List der Füchse. Und dass Ihr offenbar sehr gern lest. Habt Ihr nicht erst kürzlich eine Liste aller arabischer Schriften zusammengestellt, die es in Granada gibt?«
    »Das Letztere geschah auf ausdrücklichen Wunsch des Erzbischofs, der großes Interesse an arabischer Medizin und Philosophie hat. Und von › kürzlich ‹ kann gar keine Rede sein. Diese Arbeit hat viele Monate in Anspruch genommen.«
    »Dürfte ich vielleicht bei Gelegenheit einen Blick darauf werfen?«
    Was sollte Manolo dagegen einwenden? Doch er beschränkte sich auf ein kurzes Nicken.
    »Und was das Erstere betrifft: Ich weiß nicht, woher Ihr Eure Informationen bezieht«, fuhr er fort. »Ich bin nichts als ein einfacher, frommer Mann, der seinen Herrgott aufrecht liebt und den Nachbarn wohlgesonnen ist – nicht mehr und nicht weniger.«
    »Auch den Mauren?«, fragte Lucero. »Und das womöglich mehr, als es für einen Mann Eures Amtes gut ist?«
    »Gott liebt alle Wesen, die er erschaffen hat. So jedenfalls habe ich die Schöpfung stets verstanden. Und er vergibt ihnen. Wovon wir Menschen nur profitieren können.«
    Sie hatten den Gang zwischen den hölzernen Bänken durchschritten und waren am Taufstein angelangt, ein ovales Becken aus rötlichem Granit, dessen sich nach unten verjüngender Fuß fest auf dem Steinboden der Kirche ruhte.
    »Gefüllt mit dem geweihten Wasser der Osternacht.« Lucero tauchte seine Finger kurz ein und schlug dann auf seiner Brust das Kreuzzeichen. »Welch wunderbarer alter

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