Die Nacht von Granada
»Nun, was sagt Ihr jetzt? Habt Ihr Eure großen Worte schon wieder verschluckt?«
Padre Manolo griff unter seine Soutane und holte einen Schlüsselbund hervor.
»Folgt mir!«, sagte er, griff nach einem Öllicht, das neben ihm stand, und entzündete es an einer der Kerzen.
Er brachte sie hinter den Altar, wo eine steile Treppe nach unten führte, und stieg als Erster hinab. Lucia folgte ihm, während Rashid die Nachhut bildete. Alle drei waren unten angelangt, als mit einem leisen Plopp auch noch Fuego neben ihnen landete.
Sie erblickten eine verwitterte Holztüre, die in den rauen Stein eingehauen war.
»Der Zugang zur Krypta«, sagte der Priester mit gedämpfter Stimme. »Das Herz von San Nicolás.«
Zu Lucias Erstaunen bewegte der große Eisenschlüssel sich geräuschlos, als wäre das alte Kastenschloss erst vor Kurzem geölt worden.
Rashid wollte sofort hineinstürmen, doch der Priester hielt ihn zurück. »Warte! Du würdest nicht sehr weit kommen, fürchte ich.«
Seine Ölfunzel entzündete eine der Fackeln, die an eisernen Gestellen im Fels eingelassen waren. Als ihr Flackern einem stabileren Licht gewichen war, weiteten sich Lucias Augen vor Staunen.
Im Hintergrund ein steinerner Altar, auf dem ein goldenes Kreuz stand, über und über mit bunten Edelsteinen besetzt. Doch nicht davon wurde ihr Blick wie magisch angezogen, sondern von den unzähligen Büchern, Folianten und Pergamentrollen, die den linken Teil der steinernen Krypta nahezu vollständig ausfüllten.
»Aber das sind ja …«
»Imam Hasans kostbare arabische Schriften«, sagte der Padre mit einem kleinen Lächeln. »Und nicht nur seine. Wir haben viele Nächte gebraucht, um alles hierher zu schaffen, und mein armer Rücken nimmt es mir noch immer übel. Doch es hat sich gelohnt. Einer der sichersten Orte in ganz Granada, möchte ich mit Fug und Recht behaupten.«
Er wandte sich an Rashid.
»Mir wäre wohler, wenn ihr euren › Schatz ‹ auch hier aufbewahren würdet«, sagte er. »Auch dem Imam käme das entgegen, das hat er mir selbst gesagt, und Platz dafür ist ebenfalls reichlich vorhanden, wie du siehst.« Seine Hand wies nach rechts.
»Das würdet Ihr tun?«, fragte Rashid ungläubig, während Lucia vor Erleichterung beinahe laut aufgeschrien hätte. »Weshalb?«
»Um das Schlimmste zu verhindern. Und weil ich noch immer aus tiefster Seele davon überzeugt bin, dass Worte stärker sind als alle Waffen .«
Bei der letzten Fuhre wurden sie angehalten. Der Mond war längst hinter immer schwärzeren Wolkenballen verschwunden; der Nachtwind hatte aufgefrischt und kroch kalt unter die Kleider.
»Wohin?«, bellte der Anführer der Rotkappen. »Was treibt ihr hier um diese Zeit?«
Vorsichtshalber hatten sie nur diejenigen unter den Mauren ausgewählt, die helle Haut hatten, und alle zudem in Christenkleidung gesteckt, die freilich nur geliehen war und bei einigen mehr schlecht als recht passte.
»Nachschub für die Armenküche«, sagte Padre Manolo mit fester Stimme. »Damit unsere mittellosen Brüder und Schwestern auch morgen etwas zu essen haben.«
»Öffnet die Plane!«
Darauf war er zwar vorbereitet, wenngleich er nicht wirklich damit gerechnet hatte. Jetzt zahlte sich aus, dass er auf den blutigen Schweinehälften bestanden hatte, vor denen einigen der Muslime sich derart ekelten, dass sie sich geweigert hatten, sie aufzuladen.
Einige aber hatten sich überwunden und die kostbare Fracht sorgfältig damit bedeckt. Starr vor Angst standen sie jetzt neben dem Karren und fürchteten, ihr letztes Stündlein könnte trotz alledem geschlagen haben.
»Runter mit dem Zeug!«, befahl der Söldner. »Ich will sehen, was eure Armen so zu fressen bekommen.«
»Nichts als Haut und Schwarten«, sagte der Priester. »Stinkender Abfall, den ihr nicht einmal mit den Füßen berühren würdet. Sie aber sind dankbar dafür. Denn ohne ihn müssten sie verhungern.«
Der Anführer zückte sein Schwert und stach wahllos in die Ladung. Jeder der umstehenden Männer wagte kaum zu atmen, bis er sich endlich zufriedengab und die Waffe wieder wegsteckte. »Das nächste Mal gefälligst bei Tag«, knurrte er. »Sonst lasse ich alles in den Darro kippen.«
»Es soll nicht wieder vorkommen«, sagte Padre Manolo freundlich. »Können wir nun weitermachen? Wir alle lechzen nach Schlaf.«
Ein ungnädiges Nicken, aber die Rotkappen traten tatsächlich zur Seite und ließen den Karren passieren.
Äußerlich seelenruhig, befahl der Padre, hinter der
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