Die Nacht von Granada
Anrede verflog rasch, als er den Erzbischof näher betrachtete. Talaveras Gesicht wirkte regelrecht zerfallen, so tief waren die vertrauten Falten und Runzeln geworden. Wie eine Kraterlandschaft erschien es ihm, nachdem das Feuer der einstigen Vulkane erloschen war.
»Granada hat sich in der Tat verändert, Exzellenz«, sagte er vorsichtig. »Und seine Menschen mit ihm.«
»Bruder Hernando«, verbesserte ihn der Erzbischof. »Nenn mich wieder so wie früher! Gerade dieser Tage wünschte ich immer öfter, wir lebten wieder friedlich im Konvent* wie einst.«
»Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, Bruder Her nando«, sagte Manolo gehorsam. »Auch Menschen verändern sich. Und leider nicht immer zum Besseren.«
»An uns Geistlichen ist es doch, genau das zu verhindern!« Stöhnend hatte Talavera hatte sich aus seinem Sessel erhoben. Dem Padre war seit Langem bekannt, dass sein früherer Weggefährte an Gicht erkrankt war. Erst kürzlich musste er einen neuen Schub erlitten haben, so schwerfällig, wie er sich nur noch zu bewegen vermochte. »Wir sind Hirten Gottes, welche die ihnen Anvertrauten leiten und vor Sünden beschützen sollen. Wenn wir das nicht mehr vermögen, haben wir in unserem Amt versagt.«
»Gott allein sieht in die Herzen der Menschen …«
»Ich habe dich nicht herbestellt, damit du am Kaminfeuer Allgemeinplätze absonderst«, unterbrach ihn der Erzbischof ungehalten. »Cisneros führt etwas im Schilde und wir müssen ihm zuvorkommen. Wie weit bist du mit den Listen der arabischen Bücher?«
»Alles abgeschlossen«, sagte der Padre und presste anschließend die Lippen fest aufeinander. Dass es zwei Versionen des Bücherbestandes gab, die er vorsichtshalber im Keller des Pfarrhauses verwahrt hatte, blieb vorerst sein Geheimnis, eines nur von so vielen anderen.
»Aus Hofkreisen ist zu mir gedrungen, dass er offenbar einen weiteren heiklen Auftrag zu erfüllen hat. Einen Auftrag, der direkt aus den Gemächern der Königin stammen soll. Was ist nur in Isabella von Spanien gefahren? Seitdem sie ihre jüngere Tochter Johanna* an diesen eitlen Habsburgerprinzen Philipp* verloren hat, kommen ihr offenbar die seltsamsten Dinge in den Kopf. Weißt du vielleicht mehr darüber?«
Der Gedanke, der seit Wochen in ihm kreiste, war zu schrecklich, um ihn auszusprechen. Talavera und Cisneros hatten zwar in vielen Belangen unterschiedliche Meinungen, vor allem was die Missionierung der Muslime betraf, aber beide waren sie doch Erzbischöfe und beide hatten der Königin lange Zeit als Beichtvater und damit engster Vertrauter gedient. Konnte er tatsächlich einen von ihnen eines so schrecklichen Vorhabens bezichtigen?
»Wozu braucht der Erzbischof von Toledo auf einmal eine Auflistung aller arabischen Werke, die es in Granada gibt?«, sagte Padre Manolo stattdessen. »Weil Cisneros urplötzlich seine Begeisterung für arabische Medizin oder seine Liebe zur arabischen Literatur entdeckt hat?«
»Zynismus steht dir nicht, geliebter Bruder. Du warst seit jeher ein Mann des Herzens – und deshalb erwarte ich auch eine offene, ehrliche Antwort von dir!«
Er räusperte sich. Jetzt kam es auf jedes Wort an, das war ihm bewusst.
»Man kann Bücher zusammentragen lassen, weil man sie verehrt und liebt«, sagte der Padre. »Oder weil man sie aus ganzer Seele verabscheut. Entscheide selbst: Was von beidem erscheint dir in Bezug auf Cisneros glaubhafter?«
»Das würde nicht einmal er wagen!«, rief der Erzbischof entsetzt. »Nicht in Granada. Nicht vor meinen Augen. Nicht in meiner Stadt!«
Beinahe wäre Padre Manolo ein müdes Lächeln entschlüpft. Hatte er nicht selbst vor Kurzem diesen Satz voller Entrüstung hervorgestoßen – um sich schon kurz danach zutiefst beschämt eines Besseren belehren zu lassen?
»Die Rotkappen des Inquisitors stehen geschlossen zu seiner Verfügung, wenn er es anordnet«, sagte er. »Diese ausländischen Söldner, die unsere Sprache kaum beherrschen, aber ihre Schwerter sehr wohl zu führen wissen. Sie sind zu allem fähig, das habe ich mehr als einmal mit eigenen Augen mit ansehen müssen. Bei Rodriguez Lucero laufen inzwischen zu viele Fäden der Macht zusammen. Das tut ihm nicht gut – und Granada erst recht nicht. Falls Cisneros und er sich verbündet haben, wäre es vermutlich sehr schwierig, ja beinahe unmöglich, gegen die beiden anzukommen. Hass kann ein ungleich stärkeres Bindeglied sein als Liebe, vergiss das nicht!«
»Lucero ist in ganz Spanien als tüchtiger
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