Die Nacht von Granada
Rashid«, verlangte Lucia. »Und sag ihm, dass Nuris Mondschwester ihn sprechen muss.«
Der Junge betätigte den eisernen Hebel und verschwand nach drinnen, ließ aber das Tor, das breit genug war, dass sogar Karren hindurchfahren konnten, zu ihrem Erstaunen einen Fußbreit geöffnet. Sofort drang starker Schweißgeruch in ihre Nase, gemischt mit einem wohlriechenderen Aroma, das sie an etwas erinnerte, das lange zurücklag.
Lucia konnte nicht anders, sie musste sich vorbeugen und hineinspähen. Das harte Schlagen von Metall auf Metall hörte sie, noch bevor sie die Schwertkämpfer sehen konnte, die im Mittelteil der Halle jeweils Mann gegen Mann gegeneinander angetreten waren.
Alles Mauren, wie sie sofort erkannte.
Mauren, die offenbar zum ersten Mal im Leben ein Schwert in der Hand hielten, denn ihre Bewegungen waren langsam und merkwürdig unbeholfen.
Aber wo steckte Rashid? Sosehr sie den Hals auch reckte, sie konnte ihn nirgends entdecken. Dafür zogen verblasste Schriftzeichen über dem Tor Lucias Aufmerksamkeit auf sich.
Samuel ben Baruch , las sie, geschrieben in lateinischen Großbuchstaben. Gewürze & Spezereien.
Dann wurde es schwarz vor ihren Augen. Ein kräftiger Arm hatte sich von hinten um sie gelegt und drückte ihr die Kehle zu.
»Die kleine Christenhure ist ja schon wieder emsig am Spionieren«, sagte eine heisere Männerstimme auf Arabisch. »Und dieser Vollidiot von Achmed bringt sie auch noch wie ein gehorsames Kamel zu unserem Lager und lässt das Tor offen! Aber dieses Mal wird sie uns nicht so glimpflich davonkommen. Dafür werde ich sorgen.«
»Lass sie los, Zegri!«, hörte Lucia Rashid sagen, während ihr die Luft immer knapper wurde. »Du irrst dich. Lucia ist keine Spionin. Und erst recht keine Hure.«
»Sie hat unsere Waffen gesehen.« Der unerträgliche Druck hielt an. »Sie wird sterben. Wer weiß, wer nach ihr noch kommt! Und wir brauchen auf der Stelle ein neues Versteck!«
»Red keinen Unsinn und lass sie endlich los. Du weißt ja, was Lucero mit meiner Familie angestellt hat. Lucia macht sich einfach nur große Sorgen.«
»Auf deine Verantwortung! Doch eine einzige falsche Bewegung – und ich werde …«
Er lockerte seinen Griff so rasch, dass Lucia taumelte. Die Zunge lag plötzlich dick und fremd in ihrem Mund, als gehörte sie jemand anderem, und ihr Kopf drohte zu zerspringen, als sie zu husten begann.
»Mein Vater!«, stieß sie hervor. »Jetzt haben sie auch ihn verhaftet. Gerade vorhin.«
»Antonio? Aber was hat er denn mit dem verschwundenen Stein zu tun?«, fragte Rashid.
Sein Blick war besorgt, das nahm Lucia sehr wohl wahr, doch er hatte nicht gefragt, wie es ihr nach dieser brutalen Attacke ging.
»Seine Werkstatt. Sein Maurenfreund.« Mühsam wiederholte sie die dürren Worte, die der Nachbar Djamila und ihr überbracht hatte. »Sie wollen seinen Kopf, Rashid! Ich hab solche Angst. Was sollen wir nur tun?«
»Lass dich bloß nicht einlullen von ihrem Gerede!«, mischte Zegri sich ein. »Weiber – ich kenne sie. Alle gleich! Ständig haben sie was zu klagen und zu …«
»Halt sofort den Mund!« Zornentbrannt war Rashid zu ihm herumgefahren. »Unsere Väter schweben in Lebensgefahr, deshalb ist Lucia hier. Und du hättest sie beinahe erwürgt!«
»Aber sie ist doch Christin und du bist …«
»Antonio hat mich auf seine Schultern genommen, als ich ein kleiner Junge war«, fiel Rashid ihm ins Wort. »Und nach unzähligen Stürzen meine Tränen getrocknet, manchmal sogar liebevoller als mein eigener Vater. Bevor die Katholischen Könige unsere Stadt erobert haben, waren wir eine Familie. Deshalb werde ich Lucia beistehen, wenn sie meine Hilfe braucht.«
»Der Stein«, flüsterte sie. »Wir müssen den Stein finden – in San Nicolás!« Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Fuego plötzlich wieder aufgetaucht war und ein Stück entfernt statuengleich im Dunkeln dasaß, als würde er auf sie warten.
»Du kannst gehen?«, fragte Rashid leise.
Sie nickte.
»Dann komm!« Rashid tippte ihr leicht auf die Schulter, doch Lucias schüchtern ausgestreckte Hand übersah er geflissentlich, während Zegri voller Abscheu die Augen verdrehte.
»Du willst ausgerechnet an diesen Ort unserer allergrößten Scham … Und noch dazu mit einer Christin!«
»Macht ihr mit den Waffenübungen weiter!«, sagte Rashid, ohne sich umzudrehen. »Ich werde zur Stelle sein, wenn ihr mich braucht.«
»Du wirst gestehen, Maure, glaube mir. Es ist lediglich eine Frage der
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