Die Nacht von Granada
sich gewesen, das verfluchte Rätsel endlich gelöst zu haben, und nun dieser neuerliche Rückschlag!
»Er kann trotzdem nicht in die Krypta«, beharrte der Priester. »Die Söhne Allahs würden ihn lynchen, sollten sie jemals davon erfahren. Willst du auch noch dieses Risiko eingehen, mein Mädchen?«
Plötzlich verließ Lucia all ihr Mut. Der Gegner war einfach zu mächtig. In ihrem Kampf gegen Lucero hatten sie sich übernommen – und mussten notgedrungen unterliegen. Der Inquisitor würde strahlender Sieger bleiben, was ihrem Vater, Nuri, Saida und Kamal sogar das Leben …
»Nein!«, schrie sie und hätte am liebsten mit den Fäusten auf das unschuldige Kreuz eingeschlagen, das all ihre Hoffnungen wie eine Seifenblase zum Zerplatzen gebracht hatte. »Sie dürfen nicht sterben!« Wie ein Häuflein Elend sank sie auf den harten Boden und begann bitterlich zu weinen.
Tante Pilars Arme halfen ihr liebevoll wieder nach oben.
»Du wirst doch jetzt nicht aufgeben, Nichte«, sagte sie leise. »Ich glaube fest an deinen Traum. Der Stein ist hier, hier in San Nicolás, und …«
»Aber wo denn nur?«, rief Lucia tränenüberströmt. »Wo noch kann Lucero ihn versteckt haben?«
»Manchmal hilft beten«, sagte der Priester. »Ein inniges Gespräch mit Gott, in dem man ihn wie ein Kind als gütigen Vater um Rat und Hilfe bittet. Für mich noch immer der beste Weg, um mich zu sammeln und wieder Ordnung in meine Gedanken zu bringen.« Seine Stimme war ruhig, doch die flatternden Hände verrieten ihn.
»Ihr seid in Eile, Padre?«, fragte Pilar, der nichts entging, was ihn bewegte. »Wir sollen Euch jetzt verlassen?«
»Seine Exzellenz erwartet mich«, erwiderte er. »Erzbischof Talavera hat mich in seinen Palast bestellt. Ich möchte mir sein Wohlwollen nicht verscherzen. Und vielleicht kann ich ja bei ihm etwas für die unschuldig Eingekerkerten ausrichten.«
»Ihr müsst ihm von Luceros Schurkereien berichten!«, rief Lucia. »Dann wird er ihn seines Amtes entheben.«
»Das könnte nicht einmal der Erzbischof von Granada«, wehrte der Priester ab. »Die Heilige Inquisition hat ihre ganz eigenen Regeln und Gesetze. Natürlich werde ich alles versuchen. Aber zu viel versprechen will ich lieber nicht. Die Lage ist ernst, das weißt du. Sehr ernst sogar!«
Er brachte die beiden wieder nach oben und verschwand dann in der Sakristei.
Obwohl es ein grauer, kühler Wintertag war, immer wieder von kräftigem Schneeregen durchsetzt, kam das Tageslicht Lucia nach der Dunkelheit der Krypta so grell vor, dass sie unwillkürlich die Hände vor ihre Augen hielt.
»Du fängst doch nicht wieder zu weinen an?«, hörte sie Tante Pilar neben sich sagen. »Wir brauchen unsere Kraft jetzt für anderes.«
»Wofür denn? Es ist doch ohnehin alles verloren …«
»Was für ein Unsinn!«, unterbrach die Tante sie streng. »Die Hoffnung geben wir niemals auf, schreib dir das hinter die Ohren. Und damit du es nicht so schnell wieder vergisst, werde ich die nächste Zeit bei euch nach dem Rechten sehen. Die paar Habseligkeiten aus meinem Haushalt, die ich dafür brauche, hat ein freundlicher Nachbar heute Morgen bereits zu euch geschafft. Meine handverlesenen persönlichen Schätze sind hier drin verwahrt.«
Sie klopfte auf die lederne Satteltasche, die neben ihr stand.
»Mein Vater hat mich beizeiten darin unterwiesen, mit wenig Gepäck auszukommen, falls es einmal nötig sein sollte. Wenn du möchtest, kann ich dir zeigen, wie man das anstellt. Wir können gleich damit anfangen!«
»Du willst bei uns wohnen?«, fragte Lucia verblüfft. »Aber Djamila ist doch …«
»… sicherlich halb verrückt vor Angst wegen Antonios Verhaftung«, fuhr Pilar fort. »Ich kann mir gut vorstellen, wie sie sich fühlen muss.« Sie begann zu lächeln. »Jetzt starr mich doch nicht so entgeistert an, Lucia! Meinst du vielleicht, deine alte Tante wäre blind und taub? Ich weiß längst, dass die beiden ein Paar sind!«
»Ich erkenne meine Stadt nicht wieder, Bruder Manolo.« Erzbischof Talavera streckte seine Hände dem Kaminfeuer entgegen, das zusammen mit einigen glimmenden Kohlebecken sein Arbeitszimmer angenehm wärmte. Die silbernen Leuchter, die gewebten Teppiche, die nicht nur den Boden, sondern auch einige der Wände bedeckten, die zahlreichen Polster und bestickten Kissen – es war unübersehbar, dass er nach karger Klosterzeit gelernt hatte, es sich in seinem neuen Amt gut gehen zu lassen.
Padre Manolos Freude über die vertrauliche
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