Die Nacht von Granada
Zeit.«
Abermals hatten sie Kamal aus seiner Zelle in dieses karge Zimmer mit dem übergroßen Holzkreuz geschleppt, das den winzigen Raum beherrschte. Ein Tisch, an dem der hagere Protokollant emsig mitschrieb; ein Hocker, so hart, dass er kaum darauf stillsitzen konnte. Weit entfernt von ihm und damit für den Gefesselten unerreichbar, ein Krug mit frischem Wasser und ein Becher.
»Warum hast du den Stein gestohlen?« Die Stimme des Inquisitors klang beinahe freundlich.
»Das habe ich nicht, Exzellenz«, erwiderte Kamal müde. »Ich habe die Werkstatt nur für ein paar Augenblicke verlassen. Und als ich wieder zurückkam, war er nicht mehr da, aber das wisst Ihr alles längst. Wie oft habe ich es bereits wiederholt? Es müssen mehr als hundert Mal sein!«
»Und wenn ich dich noch viele tausend Mal aufs Neue fragen muss: Wo ist mein Hyazinth?«, bellte Lucero.
Kamal zuckte die Schultern und schwieg.
Das Schlimmste waren nicht die Fesseln, die tief in sein Fleisch schnitten und ihm das Blut abschnürten, auch nicht die dünne Suppe, die den Hunger nur noch bohrender werden ließ, oder das brackige Wasser, mit dem Saida nicht einmal einen durstigen Hund getränkt hätte. Sogar an die Einsamkeit, ja sogar die eisige Angst in stockdunklen Nächten konnte man sich halbwegs gewöhnen. Was ihn am meisten quälte, war die Vorstellung, dass seine Frau und Nuri in einem benachbarten Verlies Ähnliches durchleiden mussten.
Ob man die beiden getrennt hatte, um sie noch verzweifelter zu machen? Oder ließen sie die Tochter wenigstens bei der Mutter bleiben?
Mehr als ein Dutzend Mal hatte er Lucero bereits danach gefragt und als Antwort stets nur eine abweisende Miene erhalten.
»Wo ist mein Hyazinth? Weshalb hast du ihn gestohlen – und für wen?«
Kamal spürte, wie etwas in ihm zerbrach.
Und wenn er die Tat zugab – und damit alles beschleunigte? Dass Lucero nicht an der Wahrheit interessiert war, wusste er, seitdem er ihn zum ersten Mal vernommen hatte. Der Inquisitor wollte ein Geständnis. Allein darauf kam es ihm an.
Weshalb also sollte er ihm diesen Gefallen nicht erweisen, wo sein Tod doch ohnehin beschlossene Sache war?
»Wenn ich gestehe, lasst Ihr dann meine Frau und meine Tochter frei?«, sagte er leise. »Unversehrt?«
»Sieh an, unser verstockter Dieb will auch noch dreiste Forderungen stellen!« Breit wie ein Schiffsbug aus Knochen und Fleisch baute sich Lucero vor ihm auf. »Zuerst dein Geständnis. Alles andere danach.«
Der Inquisitor würde Nuri und Saida nicht freilassen, egal, wie sehr er ihm auch entgegenkam, das schoss Kamal bei diesen Worten durch den Kopf. Sein Urteil war bereits gefällt. Nur der Tod konnte ihn noch erlösen. Diese Erkenntnis war ebenso grauenhaft wie unumstößlich und seiner Brust entrang sich ein lauter, klagender Ton.
»Na, beginnst du endlich, Vernunft anzunehmen?« Lucero fixierte ihn kalt. »Deinen Priester musste ich leider wieder wegschicken. Schlaue Idee, sich ausgerechnet diesen Padre Manolo als Beichtvater einzubestellen! Ich wusste ja gar nicht, dass es dich so inbrünstig nach den Segnungen unseres heiligen Glaubens verlangt. Diese Sehnsucht kann erfüllt werden. Du wirst Gelegenheit haben, deine Sünden zu gestehen – auf der Stelle!« Jetzt schrie er. »Rede! Beichte! Bereue!«
Kamal schüttelte stumm den Kopf, was den Inquisitor noch mehr aufzubringen schien.
»Falls du glaubst, dass es noch tagelang so weitergehen wird, dann hast du dich gründlich getäuscht«, zischte er. »Meine Geduld ist zu Ende.«
Lucero nickte dem Schreiber kurz zu.
»Lasst den Scharfrichter eintreten!«
Der kräftige Mann ganz in Rot mit den größten Händen, die Kamal jemals gesehen hatte, schien den engen Raum beinahe zu sprengen.
»Führt ihn nach unten«, befahl der Inquisitor. »Und erklärt ihm ausführlich die Kostbarkeiten Eurer geheimen Kammer und ihre Mechanismen! Vielleicht macht ihn ja die am besten ausgestattete Fragstatt* des ganzen Reiches ein wenig gesprächiger.«
Der Scharfrichter zog Kamal vom Hocker, mühelos, als wäre er nichts als ein Haufen Lumpen, und stieß ihn nach draußen.
Mit dünnem Lächeln sah Lucero den beiden hinterher.
»Wir sind beinahe so weit«, flüsterte er. »Dann wird dieses Geschwür für alle Zeit aus dem Körper unseres heiligen katholischen Reiches herausgebrannt sein!«
Als Lucia und Rashid San Nicolás erreicht hatten, wusste er alles über ihren Traum. Er dagegen schwieg sich weiterhin hartnäckig über die
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