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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Sommers. Mir war, als könnte ich ihn auf Vorrat trinken, wie ein Kamel Wasser für die Reise durch die Wüste. Ich schloß die Augen und fühlte das Licht und trank.«

    13

    »Am Bahnhof stand ein Gendarm. Ich kehrte um. Obschon ich nicht glaubte, daß mein Verschwinden schon bekanntgeworden sei, beschloß ich, lieber die Bahn fürs erste zu meiden. So wenig es auch immer auf uns ankommt, solange wir im Lager sind, so wertvoll werden wir plötzlich, wenn wir entkommen. Während ein Stück Brot zu schade für uns ist, solange wir da sind, ist nichts zu teuer, um uns wieder einzufangen, und ganze Kompanien werden dazu mobilgemacht. Ich fand einen Lastwagen, der mich ein Stück mitnahm. Der Fahrer schimpfte auf den Krieg, die Deutschen, die französische Regierung, die amerikanische Regierung und Gott; aber er teilte mit mir sein Mittagessen, bevor er mich absetzte. Ich ging eine Stunde auf der Landstraße weiter, bis ich zur nächsten Bahnstation kam. Da ich gelernt hatte, daß man sich nicht verstecken soll, wenn man nicht verdächtig werden will, verlangte ich eine Fahrkarte erster Klasse zum nächsten Ort. Der Beamte zögerte. Ich erwartete, daß er nach Papieren fragen wolle, und kam ihm zuvor, indem ich ihn anschnauzte. Er wurde verblüfft und unsicher und gab mir die Karte. Ich ging in ein Café und wartete dort bis zur Abfahrt des Zuges, der mit einer Stunde Verspätung tatsächlich ankann.
    Es gelang mir, in drei Tagen zu Helens Lager zu kommen. Einen Gendarmen, der mich stellte, schrie ich auf deutsch an, während ich ihm den Paß von Schwarz unter die Nase hielt. Er fuhr erschreckt zurück und war froh, daß ich ihn in Ruhe ließ. Österreich gehörte zu Deutschland, und ein österreichischer Paß wirkte bereits wie eine Visitenkarte der Gestapo. Es war sonderbar, zu was allem das Dokument des toten Schwarz fähig war. Zu vielem mehr als ein Mensch - dieses bedruckte Stück Papier!
      Man mußte einen Berg hinaufgehen, zwischen Ginster, Heide, Rosmarin und Wald hindurch, um zu Helens Lager zu gelangen. Ich kam nachmittags an. Das Lager war mit Draht eingezäunt, aber es wirkte nicht so trübsinnig wie Le Vernet, wahrscheinlich weil es ein Frauenlager war. Die Frauen hatten sich fast alle bunte Kopftücher und eine Art von Turbanen gemacht, und sie trugen farbige Kleider; das wirkte fast sorglos. Ich konnte es vom Walde her sehen.
      Es machte mich plötzlich mutlos. Ich hatte äußerste Trostlosigkeit erwartet, in die ich wie ein Don Quichote und ein St. Georg einbrechen würde; jetzt aber schien man mich hier überhaupt nicht zu brauchen. Das Lager wirkte, als genüge es sich selbst.
      Wenn Helen hier war, würde sie mich längst vergessen haben.
    Ich blieb versteckt, um auszukundschaften, was ich tun sollte. In der Dämmerung kam eine Frau nahe an die Einzäunung. Andere kamen hinzu. Bald standen viele da. Sie standen still und sprachen kaum miteinander. Sie blickten mit Augen, die nichts sahen, durch den Draht. Das, was sie sehen wollten, war nicht da - Freiheit. Der Himmel wurde violett, die Schatten krochen vom Tal herauf, und man sah hie und da abgeschirmte Lichter. Die Frauen wurden zu Schatten, die ihre Farben verloren hatten und sogar ihre Körperlichkeit. Bleiche, formlose Gesichter schwebten in einer unregelmäßigen Reihe über den flachen, schwarzen Silhouetten hinter dem Draht. Dann lichteten sich die Reihen; eine nach der anderen gingen sie zurück. Die Stunde der Verzweiflung war vorbei. Ich hörte später, daß man sie im Lager so nannte.
      Nur noch eine Frau stand an der Einzäunung. Ich näherte mich ihr vorsichtig. ›Erschrecken Sie nicht‹, sagte ich französisch.
    ›Erschrecken?‹ fragte sie nach einer Weile. ›Wovor?‹
    ›Ich möchte Sie um etwas bitten.‹
      ›Du brauchst nicht zu bitten, du Schwein‹, erwiderte sie. ›Gibt es denn nichts anderes in euren dämlichen Knochen?‹
    Ich starrte sie an. ›Was meinen Sie?‹
      ›Stell dich nicht dümmer als du bist! Geh zum Teufel und platze an deinen verdammten Gelüsten! Habt ihr denn keine Frauen im Dorf! Müßt ihr hier herumstehen, ihr jammervollen Hunde?‹
      Ich begriff, was sie meinte. ›Sie irren sich‹, sagte ich. ›Ich muß eine Frau sprechen, die hier im Lager ist.‹
      ›Das müßt ihr alle! Warum eine? Warum nicht zwei? Oder alle?‹
      ›Hören Sie zu!‹ sagte ich. ›Meine Frau ist hier. Ich muß meine Frau sprechen!‹
      ›Sie auch?‹ Die Frau lachte. Sie schien nicht zornig

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