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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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und dann wieder eine neue Fremde, siehst du das nicht?‹ Sie wollte nichts Neues mehr. Sie glaubte an nichts mehr. Der Tod, der in ihr fraß, wollte nicht mehr weglaufen. Er regierte sie wie ein Vivisektor, der beobachtet, was geschieht, wenn man ein Organ und noch eines und eine Zelle und noch eine verändert und zerstört. Die Krankheit spielte ein grauenhaftes Maskenspiel mit ihr, so wie wir ein harmloses im Schloß mit Kostümen gespielt hatten, und manchmal sah mich mit flackernden Augen aus einem schmalen Schädel ein Mensch an, der mich haßte, manchmal einer, der trostlos ergeben war, manchmal ein entsetzlich tapferer Spieler, manchmal eine Frau, die nichts als Hunger und Verzweiflung war, aber dann immer wieder ein Mensch, der nur mich noch hatte, um aus dem Dunkel zurückzukehren, und der dankbar dafür war in seinem angstvollen und furchtlosen Schauder vor dem Erlöschen.
    Der Spion kam und meldete, daß die Polizei fort sei.
      ›Wir hätten ins Museum gehen sollen‹, erklärte Lachmann, ›da ist geheizt.‹
      ›Gibt es eins hier?‹ fragte eine bucklige junge Frau, deren Mann von den Gendarmen gefaßt worden war und die seit sechs Wochen auf ihn wartete.
    ›Natürlich.‹
      Ich mußte an den toten Schwarz denken. ›Wollen wir hingehen?‹ fragte ich Helen.
    ›Nicht jetzt. Laß uns zurückgehen.‹
      Ich wollte nicht, daß sie die Tote noch einmal sähe; aber sie ließ sich nicht abhalten. Als wir zurückkamen, hatte sich die Concierge beruhigt. Vielleicht hatte sie auch die Kette und den Ring schätzen lassen. ›Die arme Frau‹, sagte sie. ›Jetzt hat sie nicht einmal einen Namen.‹
    ›Hatte sie gar keine Papiere?‹
      ›Sie hatte ein Sauf-conduit. Das haben die andern genommen, bevor die Polizei kam, und Streichhölzer gezogen, wer es bekommen sollte. Die Kleine mit den roten Haaren hat es gewonnen.‹
    ›Ach so, natürlich; die hat ja gar keine Papiere. Es war der Toten sicher recht.‹
    ›Wollen Sie sie sehen?‹
    ›Nein‹, sagte ich.
    ›Ja‹, sagte Helen.
      Ich ging mit ihr. Die Tote war völlig ausgeblutet. Als wir hinaufkamen, waren zwei Emigrantinnen dabei, sie zu waschen. Sie drehten sie gerade um wie ein weißes Brett. Die Haare hingen zu Boden.
    ›Raus!‹ zischte eine mir zu.
      Ich ging. Helen blieb. Nach einiger Zeit kam ich zurück, um sie zu holen. Sie stand allein in der schmalen Kammer am Fußende des Bettes und starrte auf das weiße, eingefallene Gesicht, in dem ein Auge nicht ganz geschlossen war. ›Komm jetzt‹, sagte ich.
      ›So sieht man dann aus‹, flüsterte sie. ›Wo wird sie begraben?‹
      ›Ich weiß es nicht. Da wo die Armen begraben werden. Wenn es etwas kostet, wird die Concierge schon dafür sammeln.‹
      Helen erwiderte nichts. Die kalte Luft wehte durch das offene Fenster. ›Wann wird sie begraben?‹ fragte sie.
      ›Morgen oder übermorgen. Vielleicht wird sie auch abgeholt zu einer Obduktion.‹
    ›Warum? Glaubt man nicht, daß sie sich getötet hat?‹
    ›Das wird man schon glauben.‹
      Die Concierge kam herauf ›Sie wird morgen abgeholt fur eine pathologische Klinik. Die jungen Ärzte lernen operieren an solchen Leichen. Ihr kann’s ja gleich sein, und es kostet so nichts. Wollen Sie eine Tasse Kaffee?‹
    ›Nein‹, sagte Helen.
    ›Ich brauche eine‹, erwiderte die Concierge. ›Sonderbar, wie es einen aufregt, was? Dabei müssen wir doch alle sterben.‹
    ›Ja‹, sagte Helen. ›Aber keiner will es glauben.‹

    Nachts erwachte ich. Sie saß im Bett und schien zu horchen. ›Riechst du es auch?‹ fragte sie.
    ›Was?‹
    ›Die Tote. Man riecht sie. Schließ das Fenster.‹
    ›Man riecht nichts, Helen. Das geht nicht so schnell.‹
    ›Man riecht es.‹
      ›Es sind vielleicht die Zweige.‹ Die Emigranten hatten gesammelt und ein paar Lorbeerzweige und eine Kerze zu der Toten hineingestellt.
      ›Wozu haben sie die Zweige hineingestellt? Sie wird morgen zerstückelt, und dann werfen sie die Stücke in einen Eimer und verkaufen sie als Abfallfleisch für Tiere.‹
      ›Sie verkaufen sie nicht. Sie lassen die sezierte Leiche verbrennen oder begraben‹, erklärte ich und legte den Arm um Helen. Sie wich aus. ›Ich will nicht zerstückelt werden‹, sagte sie.
    ›Warum solltest du denn zerstückelt werden?‹
    ›Versprich mir das‹, sagte sie, ohne mich zu hören.
    ›Das kann ich dir leicht versprechen.‹
    ›Schließ das Fenster. Ich rieche es wieder.‹
      Ich stand auf und

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