Die Nacht Von Lissabon
schloß das Fenster. Draußen stand ein heller Mond, und die Katze hockte neben dem Fenster. Sie fauchte und sprang weg, als der Flügel des Fensters sie streifte. ›Was war das?‹ fragte Helen hinter mir.
›Die Katze.‹
›Sie spürt es auch, siehst du?‹
Ich drehte mich um. ›Sie sitzt hier jede Nacht und wartet, daß der Kanarienvogel aus seinem Käfig herauskommen soll. Schlaf weiter, Helen. Du hast geträumt. Man riecht wirklich nichts vom andern Zimmer her.‹
›Dann bin ich es, die riecht?‹
Ich starrte sie an. ›Niemand riecht hier, Helen, du hast geträumt.‹
›Wenn sie es nicht ist, muß ich es sein. Laß das Lügen!‹ erwiderte sie plötzlich scharf.
›Mein Gott, Helen, niemand riecht! Wenn es nach irgend etwas riechen könnte, dann nach Knoblauch aus dem Restaurant unten. Hier!‹ Ich nahm eine kleine Flasche Eau de Cologne - etwas, mit dem ich damals gerade schwarzhandelte - und spritzte ein paar Tropfen umher. ›So, jetzt ist die Luft frisch.‹
Sie saß noch immer aufrecht im Bett. ›Du gibst es also zu‹, sagte sie. ›Sonst hättest du das Eau de Cologne nicht gebraucht.‹
›Da ist nichts zuzugeben. Ich wollte dich nur beruhigen.‹
›Ich weiß, daß du es glaubst‹, erwiderte sie. ›Du glaubst, ich rieche. So wie die nebenan. Lüg nicht! Ich sehe es an deinen Blicken, ich sehe es schon lange! Meinst du, ich spürte nicht, wie du mich ansiehst, wenn du glaubst, ich sähe es nicht! Ich weiß, daß du dich vor mir ekelst, ich weiß es, ich sehe es, ich fühle es jeden Tag. Ich weiß, was du glaubst! Du glaubst nicht an das, was die Ärzte sagen! Du glaubst an etwas anderes, und du denkst, du kannst es riechen, und du ekelst dich vor mir! Warum bist du nicht ehrlich und sagst es?‹
Ich stand eine Weile sehr still. Wenn sie noch mehr zu sagen hatte, sollte sie es sagen. Aber sie schwieg. Ich spürte, wie sie zitterte. Sie saß im Bett, ein undeutlicher, blasser, vorgeneigter Bogen, aufgestützt auf die Arme, mit Augen, die zu groß in den Höhlen lagen, und dem stark geschminkten Mund - sie schminkte ihn seit Tagen auch vor dem Schlafengehen - und starrte mich an - wie ein verwundetes Tier, das mich anspringen wollte.
Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte. Schließlich klopfte ich bei Baum im ersten Stock an die Tür und kaufte eine Taschenflasche Kognak von ihm. Wir saßen auf dem Bett und tranken sie und warteten auf den Morgen. Die Männer, die die Leiche abholten, kamen früh. Sie trampelten mit schweren Schuhen die Treppen herauf. Ihre Bahre stieß an die Mauern des schmalen Korridors. Man hörte ihre Witze dumpf durch die dünne Wand. Eine Stunde später kamen die neuen Mieter.«
17
»Ich handelte einige Tage mit Küchenutensilien, Reiben aus Blech, Messern, Gemüseschneidern und kleinen Sachen, für die man keinen verdächtigen Koffer brauchte. Zweimal kam ich früher als sonst in unser Zimmer zurück und fand Helen nicht vor. Ich wartete und wurde unruhig; aber die Concierge erklärte mir, daß niemand sie geholt habe. Sie sei vor einigen Stunden fortgegangen. Das passiere öfter.
Sie kam spät abends zurück. Ihr Gesicht war verschlossen. Sie sah mich nicht an. Ich wußte nicht, was zu tun, aber sie nicht zu fragen, wäre noch sonderbarer gewesen, als sie zu fragen. ›Wo warst du, Helen?‹ fragte ich deshalb doch.
›Spazieren‹, erwiderte sie.
›Bei dem Wetter?‹
›Ja, bei dem Wetter. Kontrolliere mich nicht!‹
›Ich kontrolliere dich nicht‹, sagte ich. ›Ich hatte nur Sorge, daß die Polizei dich gefaßt hätte.‹
Sie lachte hart. ›Die Polizei faßt mich nicht mehr.‹
›Ich wollte, ich könnte das glauben.‹
Sie starrte mich an. ›Wenn du weiter fragst, gehe ich wieder. Ich kann nicht ertragen, immer beobachtet zu werden, verstehst du das nicht? Die Häuser draußen beobachten mich nicht! Ich bin ihnen gleichgültig. Ich bin den Menschen gleichgültig, die an mir vorbeigehen. Sie fragen mich nicht und beobachten mich nicht.‹
Es wurde mir klar, was sie meinte. Draußen wußte niemand von ihrer Krankheit. Dort war sie kein Patient; sie war eine Frau. Und sie wollte eine Frau bleiben. Sie wollte leben; aber ein Patient zu sein, hieß für sie, langsam zu sterben.
Nachts weinte sie im Schlaf. Am Morgen hatte sie alles vergessen. Es war das Zwielicht, das sie nicht ertragen konnte. Es legte sich wie ein vergiftetes Spinnennetz auf ihr geängstigtes Herz. Ich sah, daß sie mehr und mehr
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