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Die Nacht von Sinos

Die Nacht von Sinos

Titel: Die Nacht von Sinos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Gerede, mein Freund. Kluge Worte, aber wenn's drauf ankommt, dann hast du Angst. Ja, du hast ganz einfach Angst, da noch einmal hinunterzutauchen.«
    Er meinte es bestimmt nicht ernst. Als er merkte, wie ich zusammenklappte, war es für ihn der größte Schock seines Lebens. »Angst?« Ich stieß ein wildes Lachen aus. »Das ist noch gar kein Ausdruck. Da unten mach ich mir glatt in die Hose. Und jetzt kannst du mich auslachen.«
    Seine Augen wurden groß und ruhig und sehr, sehr dunkel. Es war für ihn ein Augenblick der Erleuchtung. Er begriff - begriff es wirklich.
    »Jack«,er streckte die Hand aus, »es tut mir ganz ehrlich leid.«
    Schnell kletterte ich über die Reling hinüber. Morgan warf bereits die Leinen los, ich rannte ins Ruderhaus und drückte auf den Starter. Meine prächtigen Penta-Maschinen brüllten auf, ich legte das Ruder hart herum und ließ die ›Gentle Jane« in weitem Bogen davonpreschen.
    Ein paar Meilen weit fuhr ich mit äußerster Kraft voraus, dann nahm ich etwas Gas weg. Ich sah über die Schulter. Morgan stand in der Tür.
    »Geht's besser?«
    »Etwas«, sagte ich.
    »Freu dich nicht zu früh. Du hast diese prächtigen Schwämme drüben auf der ›Seytan‹ gelassen.«
    Am Spätnachmittag liefen wir in Kyros ein. Diese sehenswerte kleine Insel ist sechs oder sieben Meilen lang und ungefähr drei Meilen breit. In ihrer Mitte ragt der Doppelgipfel eines Berges tausend Meter hoch in den klaren Himmel.
    Ein Einmaster glitt mit geblähtem Segel aus der schmalen Hafeneinfahrt und nahm Kurs auf Kreta. Er kam so dicht an uns vorbei, daß ich die Augen sehen konnte, die am Bug aufgemalt waren. Der Mann am Ruder winkte uns zu. Ich winkte zurück und steuerte die ›Gentle Jane‹ in den Hafen.
    Ein neues Boot war seit dem Morgen angekommen, eine dreißig Meter lange Motorjacht mit strahlend weißem Rumpf. Der Kahn mußte mindestens seine fünfzigtausend Pfund gekostet haben. Er ankerte hundert Meter vor der Mole und zeigte die griechische Flagge.
    Ich steuerte meinen Liegeplatz an der alten Mole an, wo keine Gebühren erhoben wurden. Buntbemalte Caicques lagen an dem weitgeschwungenen Sandstrand, und daneben saßen Fischer und flickten ihre Netze. Im seichten Wasser spielten Kinder und schrien einander fröhlich zu.
    Ich stellte die Maschinen ab. Wir trieben an den Kai heran, dann sprang Morgan an Land und machte die »Gentle Jane‹ fest. Ich stieg ebenfalls über die Reling hinüber.
    »Gehst du irgendwo hin, Jack?« fragte er.
    »Nur ein paar Konserven einkaufen«, antwortete ich. »Muß mir ohnehin die Beine vertreten.«
    Er erhob keinen Einspruch. Rasch ging ich weg. Natürlich war es nicht nur das. Ich mußte meine Gedanken ordnen. Was mir da unten in dem alten Wrack passiert war, hatte mir gründlich die Augen geöffnet: Ich war erledigt.
    Wenn einem so etwas passiert und man dann noch versucht, als Taucher seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist einem ein rascher und scheußlicher Tod gewiß.
    Zu diesem Schluß gelangte ich beim dritten Glas Retsina in einer kleinen Taverne am anderen Ende des Hafens. Das war es also, Schluß mit dem Tauchen. Und was sollte ich tun? Das war die große Frage. Das einzige, was ich außer tauchen noch konnte, war trinken.
    Tief in Gedanken versunken ging ich zum Schiff zurück. Ich überdachte meine Lage. Sie war schlimm genug. Von Morgan war nichts zu sehen, aber als ich über die Reling kletterte, roch es nach Kaffee.
    Ich weiß auch nicht, warum ich mich gleich wohler fühlte. Ich stieg die Kajütentreppe hinunter, rief: »Gute Idee, Morg!« und warf meine Mütze auf den Tisch.
    Lady Sarah Hamilton trat aus der Kombüse und blieb stehen, in der einen Hand die Kaffeekanne, in der anderen die Sahnebüchse. Sie trug eine hellblaue Leinenhose, ein weißes, unter der Brust geknotetes Hemd und sah so blendend aus, wie eine schöne Frau nur aussehen kann.
    Ja, und dann dieses geliebte Gesicht mit dem breiten, großzügigen Mund, der sich ein wenig verächtlich kräuselte, aber die Ironie war nicht gegen mich gerichtet, das wußte ich jetzt. Ganz ruhig sahen mich die grünen Augen an.
    »Hallo, Savage«, rief sie mit frischer Stimme. »Freut es Sie nicht, mich zu sehen?«
    Als sie lächelte, war es, als hätte jemand in mir eine helle Lampe eingeschaltet.

    6

    In diesem ersten goldenen Augenblick hätte Gott weiß was passieren können, wenn nicht Dimitri Aleko hinter ihr aus der Kombüse getreten wäre. Er trug eine alte Leinenhose, ein verblichenes blaues

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