Die Nacht von Sinos
hätte ich sterben können. Dann, als ich sie in die Arme nahm, sagte ich mir, daß es doch besser wäre, für sie zu leben. Es ist schon eine seltsame Sache mit dem Leben, und sie war so ganz und gar lebendig. Es war nicht zu fassen.
Wenn man berücksichtigt, daß jeder anständige türkische Schwammtaucher für moderne Taucheranzüge nur Verachtung übrig hat, muß man sagen, daß Ciasim ziemlich viel Erfahrung mit Atemgeräten gesammelt hatte. Trotzdem nahmen Sarah und ich ihn am frühen Abend mit hinaus, nachdem die ›Seytan‹ wieder flott war.
Wir hatten einen Teil von Alekos Taucherausrüstung mit, und ich gab Ciasim einen technischen Nachhilfekurs, für den Fall, daß er irgend etwas vergessen hatte. Nötig war es eigentlich nicht. Er glich in vieler Hinsicht den großen Piloten aus der Anfangszeit der Fliegerei, die mit dem Hosenboden flogen. Wenn er tauchte, wurden seine Instinkte wach, und er bewegte sich im Wasser, als sei es sein natürliches Element.
Er war sicher der liebenswerteste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Nachdem wir uns umgezogen hatten und zurückfuhren, mußte Sarah ununterbrochen über seine ausgefallenen Geschichten lachen, bei denen es hauptsächlich um Abenteuer mit Touristinnen ging.
»Ciasim Divaini, Sie sind doch ein großer Gauner«, sagte sie.
Er tat verstört. »Aber doch sehr brauchbar, meine liebe Lady.«
So nannte er sie immer. In ihrer Gegenwart veränderte sich etwas an seiner Haltung, an seiner Stimme. Er spürte wohl, daß sie anders war als alle anderen Frauen. Vielleicht waren es seine Instinkte, die ihn den Grund ahnen ließen. Eines jedenfalls steht fest: Ich hätte keinen Pfifferling für einen Mann gegeben, der sie in seiner Gegenwart beleidigt oder verletzt hätte.
»Die Operation zerfällt in vier Hauptabschnitte«, sagte ich und trat zu der Karte, die hinter mir aufgehängt war.
Wir befanden uns im großen Salon der ›Firebird‹. Mein Publikum bestand aus Sarah, Aleko, Ciasim, Kapitän Melos und den beiden harten Burschen, die nie von seiner Seite wichen. Es waren keine Brüder, wie ich zuerst angenommen hatte, aber doch Vettern. Der eine hieß Christou, der andere Kapelari.
Ich fuhr fort: »Die erste Phase ist die Landung auf der Insel. Wir nähern uns ihr unter Wasser von der ›Seytan‹ aus, die an dieser Stelle, eine halbe Meile südlich von Kap Heros, vor der äußeren Mauer der Festung ankern wird.«
»Eine weite Strecke für einen Schwimmer«, warf Melos ein.
Ich glaube, in diesem Augenblick ging mir zum erstenmal auf, daß er hier eine andere Rolle spielte, als er vorgab. Etwas wie Autorität ging von ihm aus. Er merkte, daß er sich verplappert hatte, und seine Augen wurden dunkel.
»Das Aquamobil legt über drei Knoten in der Stunde zurück. Bis zum Kap sind es höchstens zehn Minuten. Wir haben eine Minensperre zu überwinden, aber nach der Karte liegen die Minen weit genug auseinander.«
»Sind nicht auch die Zugänge zum Strand vermint?«
Ich nickte. »Aber das kann uns nicht stören. Wenn Sie den offiziellen Plan des Gefängnisses und der Festung aus dem vergangenen Jahr mit den deutschen Militärplänen von 1942 vergleichen, wird Ihnen ein bedeutsamer Unterschied auffallen. Die griechischen Pläne zeigen nur das moderne Abwassersystem. Auf den deutschen Plänen sieht man jedoch auch die siebenhundert Jahre alten türkischen Kanäle. In einigen Fällen werden sie sogar noch als Sammelkanäle benutzt.«
Aleko stand auf und sah sich den Plan genau an. »Sehen Sie, Melos, er hat recht.«
Melos sah über Alekos Schulter. »Der Hauptabfluß liegt also hier in dieser kleinen Bucht am Fuße des Kap Heros und offensichtlich unter Wasser.«
»Genau, auf diese Weise haben wir mit den Kontaktminen am Strand keine Schwierigkeiten.«
»Sie können sich aber irren«, sagte er. »Vielleicht hat man die alten türkischen Anlagen nur deshalb weggelassen, weil sie zugeschüttet wurden.«
»Das glaube ich nicht. Normalerweise sind die deutschen Pläne sehr zuverlässig. Nach diesen haben die Hauptkanäle aber einen Durchmesser von zwei Metern. Es wäre sehr schwierig, solche Röhren völlig zu blockieren.«
»Doch sicher sind Sie nicht.«
»Man muß an jedem Tag etwas riskieren, Kapitän Melos«, sagte ich. »Wenn wir feststellen, daß das Schlupfloch verschüttet ist, kehren wir eben um.«
»Ohne Pavlo?«
»Notfalls.«
»Sie haben bei den britischen Marinekommandos also doch nicht gelernt, wie man Wunder wirkt.«
»Nur manchmal«,
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