Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Johannes der Dreiundzwanzigste. Pontifex maximus . Das passt ja prima zusammen!“ Er hielt die Münze am Schlüsselclip eine Armeslänge über Pierinos Kopf, der vergeblich danach griff. Mit einer schnellen Bewegung warf er den Anhänger dann weit hinaus ins Gebüsch. „Oh, wie unachtsam von mir! Jetzt ist er mir doch tatsächlich entglitten.“
Pierino heulte auf, und Paola sagte: „Bist du vollkommen übergeschnappt? Das hat fünfhundert Lire gekostet!“
Sie war braun gebrannt und trug ein am Rücken tief ausgeschnittenes rot und gelb geblümtes Sommerkleid. Das dezent blondierte Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Sie war sorgfältig geschminkt, und wenn sie nervös war, spielte sie mit ihren goldenen Armreifen oder der Zuchtperlenkette, die ihr in mehreren Reihen fast bis zum Brustansatz fiel. Obwohl sie auf den ersten Blick nur unwesentlich älter als ihr Sohn Gianluca erschien, konnten die beiden kaum unterschiedlicher sein. Er war einen Kopf größer und beängstigend dünn. Der unregelmäßig sprießende Bart und die dunkle Sonnebrille ließen sein Gesicht kaum erkennen. Hinzu kamen die langen Haare, die mit einem bunten Stirnband festgehalten wurden und ihm über Stirn und Wangen fielen. Er trug eine zerschlissene Armeejacke mit der Aufschrift Fuck the army , ausgebleichte Jeans, auf denen er mit Kugelschreiber weitere Symbole und Parolen aufgemalt hatte, dazu hohe Schnürstiefel. An einem Lederriemen um seinen Hals hing ein abgesägter Mercedes-Stern.
„Und überhaupt, wie du wieder rumläufst! Wenigstens heute hättest du dir etwas Ordentliches anziehen können.“ Sie stand hinter Pierino und hatte die Hände auf seine Schultern gelegt. „Du bist wie dein Vater, ein ewiger Querkopf.“
„Es sind die Zeiten, Signora, es sind die Zeiten.“ Matteo klang, als habe er neben Kindern und Enkeln auch unzählige Urenkel aufwachsen sehen. Er hob die Hand zum Himmel und fügte hinzu: „Wir sind auf den Mond gelandet, aber unsere Kinder tanzen uns auf der Nase herum!“
„Die Amerikaner sind auf den Mond gelandet!“, sagte Pierino triumphierend.
Gianluca strich seinem kleinen Bruder über den Kopf. „Ja, mein kleiner Schatz. Du hast vollkommen Recht, es sind unsere mordenden Freunde, die Amerikaner, die auf dem Mond gelandet sind. Nicht wir , und auch nicht die Russen und die Chinesen schon gar nicht.“
„Was ihr nur immer gegen die Amerikaner habt!“ Paola schüttelte den Kopf.
„Vietnam, Mamma, Vietnaaam!“, sagte Marietta, die gerade dazugekommen war. Ihr Rock reichte knapp über den Hintern, und Matteo musste sich zwingen, woanders hinzusehen.
„Wenn ich Pilot bin, dann fliege ich nach Vietnam und helfe den Amerikanern.“ Pierino versäumte es nicht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf sein heiß ersehntes Berufsziel hinzuweisen. Schon mit vier Jahren hatte er Astronaut werden wollen.
Gianluca beugte sich vor, streckte die Arme nach hinten und rannte über die Terrasse. Dabei rief er: „Wo steckt ihr Schlitzaugen? Hier kommt Pierino, der Schrecken des Himmels und der Erde! Wir bomben euch zurück in die Steinzeit! Nehmt schon mal das: Buuum! Und das: Buuuuum!“ Beinahe wäre er mit Stefano zusammengestoßen, der gerade aus dem Wohnzimmer kam. „Und hier kommt Napalm: Bubububuum!“
„ Mamma, was ist Napalm?“
Gianluca zündete sich eine Zigarette an. Leise fügte er hinzu: „Aber dann kommen die Chinesen, viele Chinesen, Millionen davon, und jeder von ihnen hat eine Kalaschnikow, und damit holen sie Pierino vom Himmel, den armen Pierino.“ Und während er das taktaktak der Maschinenpistole nachmachte, stieß er Pierino den Zeigefinder in Brust und Bauch, dass dieser aufschrie.
Es war ein gelungenes Willkommensfest. Annalisa hatte sogar Papiergirlanden angebracht und ein Transparent über die Eingangstür gespannt: Benvenuti! Die Pflanzen hatte Gianni mit dem Transporter gebracht. Auch das Essen stammte aus der Pension, die seit Ginas Tod von Stefanos Tochter und ihrem Mann geführt wurde. Stefano selbst schien sich nicht mehr dafür zu interessieren.
Nach dem Essen - Gianluca und Marietta hatten die Gelegenheit genutzt, um sich zu verabschieden - saßen Laura und Annalisa noch zusammen. Stefano war in seinem Sessel eingenickt. Vieri und Gianni rauchten schweigend am Esstisch. Nur wenn einer von ihnen Grappa nachschenkte, wechselten sie ein paar Worte.
Inzwischen war es dunkel geworden. Durch die weit geöffnete Terrassentür drang das Kreischen der Zikaden herein.
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