Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Metalldetektoren und feucht hechelnden Hundeschnauzen beschnüffelt. Er war ein harmloser Besucher, ein hagerer alter Mann mit kurzem weißem Haar und einer großen, schwarz umrandeten Brille, die seine grauen Augen leicht vergrößerte und ihn schüchtern, fast ängstlich erscheinen ließ. Er war unverdächtig, Waffen oder Kassiber zu schmuggeln, und die umständlichen Kontrollen waren wie ein Begrüßungsritual, jede Abkürzung wäre ein unverzeihlicher Mangel an Respekt gewesen. Vielleicht sah man ihn sogar gerne kommen, hatte er manches Mal gedacht; er, der politisch über jeden Zweifel erhaben schien, hatte vielleicht einen mäßigenden Einfluss auf den prominenten Gefangenen.
Vieri sah von seinem Buch auf. Der Raum war hell und freundlich. Neben dem Bett standen Blumen, ein Fernseher hing von der Decke. Wären die milchigen Scheiben der Fenster nicht gewesen, die allgegenwärtigen Kameras, sie hätten in einem beliebigen modernen Krankenhaus sein können.
„Ciao, Papà.“
Maximilian blinzelte. Er hatte sich noch immer nicht an diese Anrede gewöhnt, und wie jedes Mal spürte er einen kleinen Stich in der Brust, das Herz, das kurz innezuhalten schien, um dann schneller weiterzuschlagen.
„Mamma ist zuhause geblieben. Es ist besser für sie, wenn sie dich nicht sieht.“
Vieri wandte sich ab. Sein Vater sah zu Boden.
Es waren schon viele Tage vergangen, seit sich Vieri dem Hungerstreik der politischen Gefangenen angeschlossen hatte. Aber es war nicht die Anzahl der Tage, die sich zunächst zu Wochen verdichtet hatten, später zu einem ersten unglaublichen Monat, die Laura ängstigte. Es war Vieris Schwinden. Eine langsame, aber stetig fortschreitende Auflösung, die im abnehmenden Körpergewicht eine nur unzureichende Entsprechung fand. Es waren die Augen, die sich in ihre Höhlen zurückzuziehen schienen, ihr verblassender Glanz, die Stimme, die von Tag zu Tag schwächer und fremder wurde, die dünne, fast durchsichtige Haut, der immer kahlere Schädel.
Zu Beginn hatte ihn Laura täglich besucht. Mit der gleichen Entschlossenheit, mit der sie dreiunddreißig Jahre zuvor täglich den langen Weg von Carrara zu Maximilians Posten in Monteforte gegangen war, stieg sie in den Zug. Als sei der Krankentrakt des Sondergefängnisses nichts anderes als eine renommierte Klinik mit herausragenden Spezialisten, klang aus ihrer Stimme eine besondere Achtung heraus, wenn sie vom o spedale sprach, dem Krankenhaus, das auch die weiteste Anfahrt rechtfertigte. Das äußerte sie jedenfalls gegenüber den Verwandten, gegenüber Nachbarn und Bekannten, und Maximilian fürchtete manchmal, sie glaube selbst daran, glaube selbst, Vieris „Krankheit“ könne, ähnlich wie Krebs, durch eine bahnbrechende neue Behandlungsmethode oder durch ein neu entdecktes Medikament besiegt werden.
Doch dann hatte sie eines morgens gesagt: „Ich bin müde, es ist ein Krieg, der nie aufhört, nicht, solange es Männer gibt, und ihr spielt Krieg, so wie ihr als Kinder Krieg gespielt habt, und es ist euch egal, wen ihr mit ins Verderben reißt.“ Und später: „Max, ich kann nicht mehr. Er stirbt vor unseren Augen, jeden Tag ein Stück. Und niemand kann von mir verlangen, dass ich mir das bis zum Ende anschaue. Sag du es ihm.“
„Es bringt sie um“, fügte sein Vater leiser hinzu.
„Wenn du gekommen bist, um mir Vorwürfe zu machen...“
„Nein, es tut mit Leid.“
Maximilian saß wie immer auf einem Stuhl am Kopfende des Bettes. Meistens war er es, der sprach, während sein Sohn zuhörte. Vielleicht schlief er auch, denn oft hatte er die Augen geschlossen und atmete kurz und ein wenig angestrengt durch den halb geöffneten Mund.
Am Anfang hatte er seinem Sohn Fragen gestellt. Er hatte versucht, ihn zum Reden zu bringen, so als müsse der Weg zueinander zwangsläufig über Erklärungen führen, als sei jedes Schweigen eine Verweigerung, jeder unausgesprochene Satz ein Rückzug. Doch erreicht hatte er damit das Gegenteil, lange Sitzungen, in denen sich Erwartungen und Enttäuschungen so unauflösbar miteinander verbunden hatten, bis nur noch Stille den Raum füllte.
Hätte Maximilian nicht irgendwann aufgegeben, hätte er nicht irgendwann selbst zu reden begonnen, wären sie sich vermutlich niemals näher gekommen. Doch eines Tages brach es aus ihm heraus, zuerst aus Verzweiflung, später, weil es ihnen beiden zu helfen schien. Er erzählte vom Krieg, vom ersten und vom zweiten, von seiner frühen Zeit in Portoclemente, von
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