Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
Haus hatte wenige Zimmer und keinen richtigen Garten. Dafür gab es eine große Terrasse, die mit Pflanzenkübeln und Töpfen vollgestellt war. Sie lag nach Norden, und da sie ein wenig erhöht war, umgab sie eine niedere Mauer aus grauem Gips. Auch darauf standen Blumenkästen, blühten Geranien und Oleander.
Für den Lido hatten sie sich eher zufällig entschieden. Portoclemente war nicht weit, Pietrasanta nur ein paar Kilometer landeinwärts gelegen, und als sie in der durchsichtigen Luft dieses ersten Morgens auf ihrer Terrasse standen, zur Rechten den Blick auf den nördlichen Apenninenbogen bis zur Festung von Punta Bianca, zur Linken die niedrigen Häuser des Dorfes, die Dächer, zwischen denen das Meer in der Julisonne blitzte, da dachten sie beide an die Straßenbahn, die sie zum ersten Mal hierher gebracht hatte und die es bald dreißig Jahre nicht mehr gab, an jenen Ausflug, als Maximilian zum ersten Mal ihren Busen berührt hatte, sie sich später, im niedrigen Wasser stehend, aneinander geklammert, sich festgehalten hatten, als könnten sie die Zeit anhalten. Merkwürdig, wie nah das jetzt plötzlich schien, auch wenn nicht nur ein paar Hundert Meter dazwischen lagen, sondern ein ganzes Leben.
Pierino kam auf die Terrasse gerannt: „Sie sind gelandet!“ Er stolperte und wäre gefallen, hätte ihn seine Mutter Paola nicht aufgefangen.
Ohne sich umzudrehen, deutete Matteo mit dem Kinn auf die Berge, die in der Hitze des Nachmittags zu verblassen begannen. Der Wind hatte gedreht, und in ein paar Tagen wären sie ganz verschwunden. „Das ist unser Mond. Wenn wir Steine brauchen, dann holen wir sie uns dort. Den anderen überlassen wir den Verliebten. Den Verliebten und den Hunden.“ Er hielt ein Glas Weißwein in Händen. Es war beschlagen. „Was sollen wir mit Staub, mit Sand, mit einer ganzen Wüste voll davon?“ Er schüttelte den Kopf, der mit dem lichten, kurz geschnittenen Haar noch massiger wirkte.
Maximilian folgte Matteos Blick. Seit jenem Sommertag im vorletzten Kriegsjahr war er nicht mehr in den Bergen gewesen.
"Aber vielleicht gibt es dort oben Marmor. Vielleicht besteht der Mond aus reinstem Statuario . Der Mond und alle Planeten, das ganze Universum.“ Matteo lachte. „Dann bin ich der Nächste, der hochfliegt!“ Wie immer stand er etwas nach vorne gebeugt da. Eine Haltung, die er sich über die Jahre in der Werkstatt angewöhnt hatte. Er trank einen Schluck und legte Maximilian die Hand auf die Schulter. „Weißt du, ich habe mir etwas überlegt. Jetzt, da du da bist, ich meine, wo du doch hier bleibst...“ Das Alter schien ihn gesprächiger gemacht zu haben, dachte Maximilian, gesprächiger und offener. „Du hast jetzt eine Menge Zeit. Warum lässt du dir von mir nicht ein bisschen was zeigen?“ Es sei gar nicht so schwer. Matteo zog Maximilian zur nächsten Topfpflanze. Als sei diese eine halb fertige Venus, nahm er Maß. Und während er manches technische Detail erklärte, schwang er imaginäre Hammer und führte unsichtbare Meißel. Schließlich malte er aus, wie es wäre, gemeinsam in der Werkstatt zu arbeiten. „Und wenn es uns langweilig wird, dann holen wir uns eines dieser freizügigen jungen Dinger und lassen es Modell stehen! Was hältst du davon?“
Maximilian hatte in all den Stunden in der Werkstatt des Freundes nur selten daran gedacht, aber plötzlich wusste er, dass er sich diesen alten Traum erfüllen wollte. Er war begierig, seine Hände auf den Stein zu legen, seinen Widerstand zu spüren und sein Nachgeben, seinen Eigenheiten zu folgen, ihn abzuschlagen und zu glätten, zu formen nach dem Bild, das er sich von ihm machen würde.
Pierino kam erneut auf die Terrasse gerannt. Er schien geweint zu haben und schniefte. Obwohl er schon zehn Jahre alt war, war sein Gesicht so weich und offen wie das eines jüngeren Kindes. Er ähnelte mehr der Mutter oder der Großmutter als dem Vater. „ Nonno , nonno , Luca hat mir meinen Schlüsselanhänger weggenommen!“
Paola, die ihm gefolgt war, sagte: „Gianluca, gib dem Kind sofort seinen Anhänger zurück! Ich weiß gar nicht, warum du dich immer mit ihm anlegst. Er ist doch fast zehn Jahre jünger als du!“
Gianluca hob die versilberte Münze in die Höhe. „Wollen wir doch mal schauen...“ Er ließ sie vor seinen Augen baumeln. „John Fitzgerald Kennedy, genannt der Kriegsverbrecher . Welch wunderbares Geschenk für unseren unschuldigen Kleinen!“ Er drehte die Münze um. „Und wen haben wir denn da?
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