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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Unterlippe. "Ich sage auch gar nicht, dass es dasselbe ist. Natürlich wart ihr im Recht und ich im Unrecht. Und ich sage auch nicht, dass uns jemand dazu gezwungen hat." Er dachte an die Höhle zurück, an die Pistole in seinem Nacken. "Wir hätten uns auch dagegen entscheiden können, trotz allem." Kurz sah er sie an. "Für mich war das eine andere Welt. Ich glaube, das hast du nie verstanden. Es war eine Welt, die nichts mit uns zu tun hatte, mit uns und unserer Liebe."
    "Es war keine andere Welt, Max. Es stand schon damals zwischen uns, und das ist bis heute so geblieben." Sie hatte sich abgewandt. Im Zimmer war es kühler geworden, und sie zog das Laken fester um sich. "Wir haben uns beide schuldig gemacht. Und die Schuld des einen mindert nicht die Schuld des anderen."
    Lange schwiegen sie beide. "Was können wir tun?" fragte Maximilian schließlich.
    "Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht." Später, sie hatte ihren Kopf auf seine Schulter gelegt, fügte sie so leise hinzu, dass Maximilian sich fragte, ob er sie richtig verstand: "Verzeihen vielleicht. Vielleicht verzeihen."
    Dieser erste Sommer in Italien veränderte ihre Beziehung von Grund auf. Als sie im September wieder auf dem Bahnhof von Pietrasanta standen, um den Zug nach Deutschland zu nehmen, fühlten sie sich dreißig Jahre zurückversetzt. Aber es war nicht Maximilian, der abreiste, sie, die allein zurückblieb, es war, als sei sie damals doch noch zu ihm in den Zug gestiegen, als habe er sie im letzten Augenblick doch noch an der Hand genommen, um sie mit sich zu nehmen.
    Später sollten sie sich wundern, wie lange es gedauert hatte, um an jenen weit entfernten Punkt wieder anzuknüpfen.
    Sie heirateten im darauffolgenden Jahr. Als Laura aus der Kirche San Ermete trat, blinzelte sie in die Junisonne. Sie sah zu Vieri hinüber und zu ihren beiden Enkelkinder. Dann prasselten Reiskörner auf sie nieder, und sie senkte den Blick.

3 . Kapitel
     
    Im ersten Nachkriegsjahr fuhr Vieri mit Stefano nach Rom, um die Piazza Venezia ohne Mussolini zu sehen, den Monolithen, der jetzt ein Obelisk war, auch wenn das Forum nicht mehr den Namen des Duces trug.
    Rom ohne Mussolini! Das war eine unglaubliche, geradezu blasphemische Vorstellung, die nur übertroffen werden konnte, hätte man den Vatikan ohne den Papst gedacht, den Himmel ohne Gott oder die Hölle ohne den Teufel. Das galt besonders für Vieri, der nichts anderes kannte als das immerwährende Imperium jener, die jetzt an den Beinen aufgehängt auf derselben Piazza zu bestaunen waren, auf der nur wenige Wochen zuvor die Widerstandskämpfer erschossen worden waren.
    Sie reisten per Anhalter, ein Begriff, der ihnen nicht geläufig war, den sie mit "sich durchschlagen" übersetzten; auch wenn sie bei Dick und Doof gesehen hatten, dass man den Daumen in die Straße hält, um mitgenommen zu werden. Die Geste aus den Fröhlichen Vagabunden erschien ihnen aber unanständig, und so wagten sie es nicht, sie zu wiederholen. Das war auch nicht nötig, denn die wenigen Fahrzeuge, die auf den halb zerstörten Straßen verkehrten, hielten bereitwillig, Autofahrer, die auf einen Schwatz aus waren, Lastwagenführer, die fast mit Gewalt jeden Passanten auflasen, um ein paar Lire für die Mitfahrgelegenheit zu ergattern.
    So landeten sie auf einem alten Armeelaster, neben ihnen ein Hirte, der seiner Ziege die Beine zusammengebunden hatte, ihnen gegenüber ein blondes Mädchen mit einem geflochtenen Kranz Klatschmohn ums Haar. Ein Offizier saß daneben, tätschelte ihr Knie, während sie sich mit zusammengepressten Beinen gegen die Rückwand drückte. Mit Vollgas fuhren sie die Serpentinen hinauf, kaum schneller, als gingen sie zu Fuß, und während eine lang gezogene Wolke Dieselruß noch unbeweglich hinter ihnen auf der Straße stand, kuppelte der Fahrer aus, stellte den Motor ab, und ließ den Wagen ungebremst zu Tal rollen. "Italienisches Benzin", wie diese Methode von den Bauernschlauen schon vor dem Krieg getauft worden war, auch wenn man am Ende nur froh sein konnte, lebend unten anzukommen.
    Rom war schon in Sicht, als auf der halsbrecherischen Abfahrt ein Reifen platzte. Sie rasten in einen Pferdewagen, überfuhren Menschen und Tiere und kamen schließlich an einem alten Olivenbaum zum Stehen. Der Lastwagen kippte um, und sie fielen übereinander. In der allgemeinen Aufregung und mit dem Geruch der aufgeplatzten Gedärme der Pferde in der Nase stahlen sich Vieri und Stefano unbemerkt davon. Die

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