Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
ein, sich ihnen anzuschließen.
Als Vieri und Stefano an jenem Tag durch das verbotene Gebiet fuhren, sahen sie die Piratenfahnen im Wind flattern, die Slips und Oberteile der Frauen, die an Seilen über der Straße hingen.
Stefano war wortkarg. Er wirkte abwesend und nachdenklich. Die Aufständischen schienen ihn nicht zu interessieren, und auch von der allgemeinen Aufregung blieb er unberührt. Die Aufbruchsstimmung, die ihn nach Rom getrieben hatte, war verflogen. Als sie nach Portoclemente zurückkehrten und mit Fragen bestürmt wurden, waren sie nicht die nach unzähligen bestandenen Abenteuern im Triumphzug heimkehrenden Helden, sondern kleinlaut, fast betreten. Und die Leute zuckten die Achseln und murmelten: "Er ist nicht mehr ganz richtig im Kopf. Der Krieg. Seit dem Krieg ist er nicht mehr derselbe."
Vieri blieb bei Stefano.
Während er auf Sandro wartete, jenen Mann, den er noch auf Jahre hinaus für seinen leiblichen Vater hielt, während die Mutter, die Verräterin, dem deutschen Offizier nach Deutschland gefolgt war und genauso verschollen schien wie jener andere in der fernen Ukraine, während das Leben im gerade befreiten Norden langsam an Geschwindigkeit gewann, unmerklich in die Normalität aufbrach, wie ein Zug, dessen Losfahren man erst bemerkt, wenn der Bahnsteig lautlos zurückweicht, während dieser seltsamen Zeit lebte er wieder in der Pensione Moderna.
Die Pension war schon bald den rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben worden, und, obwohl es unvorstellbar schien, sie könne jemals wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß genutzt werden, schufteten sie alle von morgens bis abends, um die Schäden zu beseitigen: zertrümmerte sanitäre Anlagen, eingeschlagene Fenster und Türen, eingedrückte Mauern, aufgerissene Böden und vieles mehr, was nach der langen Besatzungszeit und dem anschließenden Leerstand zu verzeichnen war.
Es war Gina, Stefanos Frau, die sie antrieb, die einen fest umrissenen Plan zu haben schien, wenn sie in der Tür stand und in ein Zimmer starrte, um dann kurze und unmissverständliche Anweisungen zu geben, mit einem Stück Kohle die Stellen zu markieren, wo neue Fenster oder Türen durch die Wand gebrochen werden sollten oder ein Durchgang zu öffnen war. Stefano dagegen arbeitete schweigend wie eine Maschine. Selten, dass er eine andere Meinung äußerte, dass er mehr tat, als wie besessen den Vorschlaghammer zu schwingen oder Berge alter Ziegelsteine hin und her zu schleppen.
Vieri war für die Ablenkung dankbar, denn Arbeit gab es sonst nicht, und wäre der Hunger nicht gewesen, der gleiche Hunger der letzten beiden Kriegsjahre, als Gina einen Handwagen voll Salz den Pass des Cerreto hinaufgezogen hatte, um dafür in der Emilia Romagna Mehl oder Fett einzutauschen, er wäre fast glücklich gewesen.
Er spielte gern mit Annalisa, die er wie eine kleine Schwester liebte, und wenn er dem strengen Regiment der Tante entwischen konnte, schlich er sich hinunter zum verbotenen Strand, um den Amerikanern zuzuschauen.
Er hatte sich mit einem farbigen Soldaten angefreundet, der immer zu lachen schien und dessen Leibesfülle ihn jeden Tag aufs Neue verblüffte, und wenn sie zusammen im Sand saßen und das Minensuchgerät wie ein schlafender Hund zu ihren Füßen lag, dann radebrechte der GI, um ihm von den Staaten zu erzählen, von seiner Frau und den Kindern, von den großen Städten und den vielen verschiedenen Menschen, die dort friedlich vereint zusammen lebten. „ No more war“ , sagte er oft, bevor er sich einen Kaugummi in den Mund schob. „ We are friends, do you understand? Italian and American, black und white.” Und dann bot er ihm einen Streifen an.
Meistens steckte Vieri den Kaugummi ein, um es gegen etwas Essbares zu tauschen. Manchmal gab ihm Abraham Zigaretten oder Schokolade, eine Packung Armeezwieback. Damit lief er bis Pietrasanta, um mit einer Tüte Kastanienmehl oder Äpfeln zurückzukommen.
Es dauerte Jahre, bis die ersten Touristen kamen, die ersten Gäste. Es waren zumeist jüngere Männer, Künstler und Intellektuelle aus gutem Hause und manch einer, der bei Schiebereien auf dem Schwarzmarkt reich geworden war. Oft schüttelte Stefano den Kopf und sagte: "Pah! Es sind immer die gleichen Gestalten, die nach oben gespült werden. Die Welt ändert sich nie."
Und doch war alles anderes geworden. Sie fuhren jetzt in Autos vor – wann hatte vor dem Krieg jemals ein Auto vor der Pension gehalten, von jenem des Prefetto einmal
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