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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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gesprochen.
    Als Maximilian im Oktober 1944 seinen Posten in Monteforte in aller Eile geräumt hatte, um mit den abrückenden Feldjägern nach Norden zu gehen, hatte er sie bekniet, mit ihm zu kommen. Ihr selbst war dieser Gedanke zunächst fremd erschienen. Zu viel sprach dagegen: Stefano und Vittoria, die sich in den Bergen versteckten, ihre Mutter Maria, die seit Pieros Tod eine andere geworden war, und vor allem ihr Sohn Vieri, den sie seit Wochen nicht mehr gesehen hatte. Angst, als Kollaborateurin verfolgt zu werden, hatte sie nie gehabt. Schließlich hatte sie als Spionin des Widerstandes bei den Deutschen gearbeitet. Doch als Maximilian ihr in den düstersten Farben vom Schicksal anderer Frauen berichtete, die in ähnlicher Lage wie sie zurückgelassen worden waren, begann sie zu schwanken. Der Einzige, der sich für sie verbürgen konnte, war Stefano, von dem sie nicht wusste, wo er sich aufhielt, der eigene Bruder zudem, dem man unterstellen würde, nur die Schwester schützen zu wollen. Sie hatte nie einen offiziellen Auftrag erhalten, es gab keine Akten, aus denen hervorging, warum sie für den deutschen Verbindungsoffizier gearbeitet hatte. Andere waren schon aus nichtigerem Anlass von einer aufgebrachten Menge gelyncht worden. Vielleicht wäre sie trotzdem in die Berge gegangen, hätte sich dort so lange versteckt, bis die Alliierten gekommen wären, wenn es Maximilian nicht gegeben hätte. Sie hatte ihn nach achtzehn endlosen Jahren wiedergefunden, und so schwierig ihre gemeinsame Zeit in der Casa Letizia gewesen war, der Gedanke, ihn wieder aufgeben zu müssen, ihn wieder, dieses Mal vielleicht für immer, ziehen zu lassen, war ihr unerträglich. Jetzt hatte sie eine Wahl, jetzt konnte sie mit ihm gehen. Sie wollte nicht wieder diejenige sein, die wartete, die hoffte, die ihre Sehnsucht von einem Jahr zum anderen retten würde.
    Das Todesurteil, das in den ersten Wochen nach Kriegsende gegen sie gefällt wurde und das Stefano ihr nach Deutschland schickte, blieb lange Zeit der sichtbare Beweis für die Richtigkeit ihrer Entscheidung. Obwohl ihr Bruder in seinem langen Begleitbrief versicherte, es handele sich um ein Missverständnis, das sich bald aufklären würde, eine Frage von Wochen, von Monaten höchstens, war es dieses Urteil, das sie Tag für Tag in seinem Rahmen in der Küche betrachtete wie die Fotografie eines liebgewordenen Menschen, weil das ihr die Zeit in Deutschland zu überbrücken half. Italien war für sie unerreichbar geworden, ein für sie unbegreiflich feindseliges Land. Nicht, dass sie tatsächlich gefürchtet hätte, bei einer Einreise hingerichtet zu werden – häufig genug wurden die nach dem Krieg in aller Eile gefällten Todesurteile nicht vollstreckt –, doch fühlte sie sich von der Heimat verraten, von den Menschen, für die sie so viel riskiert hatte, von ihrem Bruder, der sie erst dazu gebracht hatte, Maximilian zu hintergehen, und der sie jetzt im Stich ließ, seiner Beteuerungen zum Trotz.
    Dennoch blieb Deutschland ihr fremd. Es blieb so fremd, wie es schon im jenem Sommer gewesen war, als sie Maximilian kennen gelernt hatte. Nie war es Ziel ihrer gemeinsamen Träume gewesen, nie hatte es einen Platz in ihrer zerbrechlichen Zukunft gehabt. Und so waren diese zehn Jahre vergangen: ereignislos wie im Schlaf, ohne Höhen und Tiefen. Wenn sie daran dachte, sah sie ein konturloses Braun, das keinen Anfang hatte und kein Ende. Sie war mit Maximilian zusammen gewesen, aber es war ein Leben, das mit jenem, das sie sich als junge Frau herbeigesehnt hatte, nur wenig gemein hatte. Diese Jahre kamen ihr verschwendet vor, mehr verschwendet als ihre Ehe mit Sandro, mehr verschwendet als die entbehrungsreiche Zeit des Krieges.
    Diese Enttäuschung hatte sie stumm gemacht. Erst das Meer, der Anblick der Berge, das Land, in das sie, wenn auch nur für die kurze Zeit des Sommers, zurückgekehrt war, änderten etwas daran.
    Schon am ersten Abend sprachen sie mehr miteinander, als sie es in Deutschland jemals getan hatten. Stefano und Gina waren schon früh ins Bett gegangen. Obwohl sie von der langen Reise müde waren, saßen sie noch lange im Hof, der in den ehemaligen Kräutergarten hinein erweitert worden war und mit seinen Marmortischen und den gusseisernen Stühlen jetzt einem richtigen Gartenlokal glich.
    Sie hatten sich schon erhoben, um hinauf aufs Zimmer zu gehen, als Laura sagte: "Vieri war nicht da." Sie ging zum Mäuerchen und sah ins Dunkle hinaus.
    Maximilian folgte

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