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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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letzten Kilometer in die Hauptstadt hinein gingen sie zu Fuß. Am Kontrollpunkt stadteinwärts verschwiegen sie den Vorfall.
    Sie erlebten eine Hauptstadt, die schon seit fast zwei Jahren befreit war, die mit dem erst kürzlich beendeten Krieg im Norden so wenig zu tun hatte, als sei die Gotische Linie nicht mitten durch Italien, sondern auf einem fremden Kontinent verlaufen, als sei sie einem Äquator ähnlich, einem geheimnisvollen Polar- oder Wendekreis, den man nur vom Hörensagen kannte, mit dem man nichts als Gerüchte und in Vergessenheit geratene Zeitungsberichte verband.
    Niemand interessierte sich für die ehemaligen Partisanen. Als seien sie verarmte Verwandte, weit entfernte Verwandte, wurden sie von einem zum anderen gereicht, und, obgleich man ihnen etwas schuldig zu sein meinte, erschienen bald jeder Wunsch, die kleinste Forderung als vermessen und unverschämt.
    So liefen sie den Corso entlang auf Mussolinis ehemalige Residenz zu, bestaunten das Gewimmel der Karren und Kutschen, der schwarzgrünen Taxen, päpstlichen Alfa Romeos und aristokratischen Isotta-Fraschinis, in dem die Kleinbusse der öffentlichen Verkehrsbetriebe wie Äste zu schwimmen schienen, und standen schon fast vor dem makellos weißen, an einen Tempel erinnernden Marmorbau, als sie gemeinsam mit dem übrigen Verkehr von rotweiß behelmten Militärpolizisten nach links und rechts vorbei- und umgeleitet wurden. Die ganze Piazza war abgesperrt, ein undurchdringlicher Knäuel aus Stacheldraht, der sich über einem Wall aus weißen Benzinkanistern spannte. Dahinter ein Meer aus Armeefahrzeugen: zuerst die Jeeps und Buicks der Offiziere, dann die Krankenwagen, die schweren Dodge-Laster und schließlich die Kettenfahrzeuge, alle säuberlich aufgereiht wie auf einem Schachbrett und in solcher Vielzahl, als wollte man die noch Besiegten oder schon Verbündeten ein letztes Mal bis ins Mark beschämen.
    Nach einer Woche machten sie sich wieder auf den Heimweg.
    Das letzte Stück ab Livorno legten sie in einer verbeulten Balilla zurück, die von einem grauhaarigen Herrn mit einem Bärtchen gesteuert wurde. Während dieser über die täglich steigenden Preise jammerte, über den Schwarzmarkt, die Ausgebombten, die sich bei ihm zu Hause breit machten, fuhren sie durch die Ruinen der völlig zerstörten Hafenstadt. Kurz bevor die Pinienwälder begannen, mussten sie anhalten und warten. Am Kontrollpunkt stellte die Militärpolizei einen Konvoi zusammen, der aus Sicherheitsgründen geschlossen durch die Schwarze Hölle fahren sollte.
    Hier erfuhren sie zum ersten Mal von den Deserteuren von Tomboli , den schwarzen Teufeln ,  die in afrikanischen Hüttendörfern leben sollten und deren Feuer man nachts weithin sah, so weit wie ihre unheimlichen Gesänge schallten und das Dröhnen der Buschtrommeln. Sie feierten heidnische Feste, opferten Jungfrauen und schlitzten die Bäuche von Schwangeren auf, um sich an deren Frucht zu laben. Als gesichert galt, dass sie Frauen bei sich hatten, weiße Frauen, entführt oder fliegenden Händlern abgekauft, und dass sie die freie Liebe lebten, den Kommunismus, den Anarchismus. Wenn sie aber dann doch eifersüchtig wurden, schnitten sie sich gegenseitig die Kehlen durch, kämpfen im wilden Licht der Flammen auf Leben und Tod, und wenn der Widersacher am nächsten Morgen von den Ernüchterten begraben wurde, legte die ehemalige Freundin ihren Slip mit hinein.
    Es waren Angehörige der größtenteils aus Farbigen bestehenden Division Buffalo . Sie wurden in den letzten Kriegsmonaten von der deutschen Gegenoffensive Wintergewitter überrascht, erlitten schwere Verluste und wurden von der weiterziehenden Armee in Viareggio zurückgelassen, um den Nachschub zu bewachen, der die Küste kilometerweit wie Treibgut überzog und nicht mehr gebraucht wurde. Mit ihnen blieben die segnorine zurück, die leichten Mädchen, die aus ganz Italien zusammengeströmt waren, um sich dem siegreichen Tross anzuschließen. Auf sich allein gestellt, feierten die Soldaten den Frieden auf ihre Weise, und als sich der Generalstab besann, Ordnung zu schaffen, war es zu spät. Mit Gewalt wurden sie in die Pinienwälder der Strände zwischen Pisa und Livorno zurückgedrängt, verschanzten sich dort hinter Maschinengewehrnestern und selbst gezimmerten Wachtürmen, gruben Bärenfallen, in die die Jeeps der Militärpolizei fielen und aufgespießt wurden, und erklärten Tomboli für unabhängig. Dann luden sie Deserteure und geflohene Kriegsgefangene

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