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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Sohn?“ Böig riss der Wind an den nur notdürftig befestigten Plastikplanen der Bude. Staub wurde aufgewirbelt und trieb über den sich leerenden Platz. Matteo sah auf seine Hände, die den Plastikbecher mit dem Wein festhielten.
    Wieder ging Maximilians Blick zum Hang hinauf auf der Suche nach jener Stelle. „Es war hier... Irgendwo da oben habe ich Laura zum ersten Mal geküsst. Vielleicht habe ich sie gar nicht geküsst, vielleicht habe ich es mir nur so sehr gewünscht, dass es keine Rolle spielt, ob es passiert ist. Ich weiß es nicht.“ Er starrte immer noch hinauf, blickte aber ins Leere. „Vieri ist unser einziger Sohn.“ Erneut lächelte er. „Wir wollten zwölf Kinder haben. Stell dir vor, zwölf!“ Er wurde wieder ernst. „Und, obwohl ich ihn verloren habe und wieder gefunden und wieder verloren und wieder gefunden...“ Er stockte. „Wenn er tot ist“ – er hob eine Hand und ließ sie wieder sinken – "dann wird auch alles andere zu Ende sein.“ Matteo blickte auf und Maximilian fuhr fort. „Laura hat einmal gesagt – es ist mehr als dreißig Jahre her –, so schön unsere Liebe sei, sie sei nur ein Spiel, nicht mehr als ein schönes Spiel. Unser Sohn sei das eigentlich Wichtige. Er sei das, worauf es ankäme.“ Er sprach langsam und hatte die Stirn in Falten gelegt. „Es ist seltsam, aber erst heute verstehe ich, was sie gemeint hat.“ Er sah den Freund an. „Vielleicht muss man erst seine Kinder sterben sehen, um es zu verstehen.“
    „Er ist nicht tot.“
    „Nein, er ist nicht tot.“
    Ein Krankenwagen überquerte den Platz. Als er auf die Straße bog, die hinunter ins Tal führte, wurde die Sirene eingeschaltet. Lange war ihr leiser werdendes Heulen zu hören.
    „Vieri nimmt unser aller Schuld auf sich“, sagte Maximilian schließlich. Er wiegte den Kopf und brachte ein halbes Lächeln zustande. „Es ist sehr lange her, dass das jemand versucht hat.“ Irgendwann fügte er hinzu: "Und wir sind alle schuldig. Ich, Laura, Lauras Brüder Vieri und Stefano..."
    "Was hat Stefano damit zu tun?"
    „Erinnerst du dich an jenen Abend, als der Stein durch das Fenster der Pension geworfen wurde? An dieses falsch geschriebene Wort – tradittore! , Verrätter! – das auf dem Zettel stand? Es war so lächerlich falsch geschrieben, dass es einfach falsch sein musste. Ein Buchstabe zu viel oder zu wenig, und schon verschwindet alles, was hinter einem Wort stehen könnte. Es bleiben nichts als Zeichen übrig, wirr aneinander gesetzte Zeichen, die zum Lachen reizen. Keinen Gedanken haben wir daran verschwendet, dass es wahr sein könnte. Dass Stefano ein Spitzel der Faschisten war.“ Maximilian schüttelte den Kopf. „Oder lag es an Stefano, dass man ihm das nie zugetraut hätte?“
    „Ich kann es auch heute nicht glauben.“
    Maximilian nickte. „So ging es auch mir, als Vieri es mir erzählte.“
    Erste schwere Regentropfen klatschten auf das Papier, mit dem die behelfsmäßige Theke ausgelegt war. Matteo zog die Schirmmütze tiefer in die Stirn.
    „Und doch stimmt es. Bei seinen Nachforschungen über seinen Namensgeber, den Fliegerhelden, hat Vieri etwas gefunden und Stefano zur Rede gestellt. Etwas, was so eindeutig war, dass er sich nicht herausreden konnte. Und vielleicht wollte er es gar nicht. Denn er hat ihm alles gesagt.“
    Es hatte heftiger zu regnen begonnen. Sie zogen sich in den Schutz des Budendaches zurück. Eine Lautsprecherstimme erklärte die Veranstaltung aufgrund der widrigen Wetterbedingungen für beendet. Dem Kollegen Luigi Lattanzi, dem capolizza , ginge es besser. Er habe einen Herzanfall erlitten und sei nach Carrara ins Krankenhaus gebracht worden.
    Während Matteo in den Regen starrte, der hoch in den Pfützen aufspritzte, erzählte ihm Maximilian Stefanos Geschichte. Als er geendet hatte, schwiegen sie lange. Schließlich fragte Matteo: „Und der Krieg, die Partisanen...? Ich verstehe das alles nicht. Hat er auch während des Krieges als Spitzel für die Faschisten gearbeitet, für die Nazis?“
    „Nein. Nachdem er aus Frankreich zurückkam, war alles vorbei. Das war die Abmachung. Sie haben ihn in Ruhe gelassen, und er ist den alten Genossen aus dem Weg gegangen. So blieb es fast fünfzehn Jahre. Bis 1943.“ Maximilian leerte seinen Becher und zerknüllte ihn. „Erst nach dem Waffenstillstand und dem Chaos, das dem achten September folgte, hat er den Kontakt zu den Widerstandsgruppen wieder aufgenommen. Die Faschisten hatten sich zerstreut, waren

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