Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
kopflos, wir Deutschen hatten das Kommando. Ich glaube, er war sich sicher, dass die alten Geschichten vergessen waren, von den einen wie von den anderen vergessen.“ Es donnerte. Dumpf rollte das Echo durch das Tal. „Und er wollte alles besser machen. Er wollte allen beweisen, dass er ein guter, ein unbestechlicher politischer Führer war. Vielleicht wollte er es vor allem sich selbst beweisen.“
„Er war ein Kriegsheld. Er hätte es in der Politik zu etwas bringen können, vielleicht sogar zum Staatspräsidenten.“
„Ja!“ Maximilians leises Auflachen ging in ein Husten über. „Und doch hat ihn die Vergangenheit schließlich eingeholt.“ Er berichtete von der abenteuerlichen Fahrt nach Rom, die Stefano kurz nach dem Krieg mit seinem Neffen Vieri unternommen hatte. Conti hatte ihn gerufen. Die ehemaligen Kampfgefährten hatten einflussreiche Posten inne, waren hohe Regierungsbeamte geworden, Abgeordnete, Senatoren. In allen Parteien saßen sie an den Schaltstellen. Und doch suchten sie hängeringend nach jemanden wie Stefano.
Matteo nickte. „Ja. Du hast es nicht erlebt. Die Revolution schien vor der Tür zu stehen. Überall Streiks, keine Woche in der nicht ein paar Arbeiter von der Polizei erschossen wurden. Es gab jede Menge junge Heißsporne, aber wenig gestandene Männer, die mäßigend hätten einwirken können.“
Maximilian fuhr fort: „Stefano und Vieri wohnten bei Conti. Die Stadt war voller Flüchtlinge. Nur langsam kam das normale Leben wieder in Gang. Sie hatten die ersten Gespräche mit den Sozialisten geführt, mit den Kommunisten, sie waren noch keine Woche in Rom, als Conti eines Abends zurückkam und ihm die Akte gab. ‚Du bist erledigt.’ Das war alles, was er sagte. Vieri war gerade nicht da. Er hat von diesem Gespräch erst Jahre später erfahren. Stefano nahm die Akte. Schon nach wenigen Zeilen wusste er, was darin stand. Als er Conti zum Abschied umarmte, hatte er Tränen in den Augen. Conti hat keine Erklärung verlangt, kein Wort. Am nächsten Morgen ist Stefano mit Vieri aufgebrochen, um nach Portoclemente zurückzukehren.“
Der Regen war schwächer geworden. Von der Küste her klarte der Himmel auf.
„Stefano ist daran zerbrochen.“
In die letzten Regentropfen hinein gingen sie über den leeren Platz zum Auto zurück. Verlassen und drohend schwebte der Marmorblock in der Bergwand. Außer der Besatzung eines Streifenwagens und einem einsamen Bergarbeiter, der, in gelbes Ölzeug gehüllt, die Spannvorrichtung der Drahtseile bewachte, war niemand zu sehen.
Schweigend fuhren sie hinunter zu Matteos Werkstatt. Schon nach wenigen Kilometern brach die Sonne durch die dünner werdenden Wolken. Schnell wurde es heiß. Schwarz und dampfend lag die Straße vor ihnen.
Später standen sie gemeinsam vor Maximilians erstem Werk. Es war ein Kopf, eine Büste. Auch wenn die Darstellung nicht wirklich gegenständlich war, so waren doch die Gesichtszüge eines Mannes zu erkennen.
Matteos Hände strichen über den weißen Stein. „Er gefällt mir.“ Mit Daumen und Zeigefinger fuhr er über die kantige Nase, die Augenhöhlen, die Wülste, die sich dort aufwölbten, wo der Mund hätte sein können. „Du hast Talent. Es ist wirklich gut.“
„Lob dich nur selbst. Du weißt, dass es nur dein Verdienst ist. Ich habe nicht viel mehr als den Meißel gehalten.“
Matteo hob die Hände. „Da tust du dir aber Unrecht! Ich habe dir den einen oder anderen Tipp gegeben, mehr nicht.“
Maximilian ging einmal um den Kopf herum. Dann nahm er die verblichene Fotografie in die Hand. „Ich hoffe, es gefällt ihr, auch wenn die Ähnlichkeit nicht eben groß ist.“ Er wollte die Büste Laura zum Geburtstag schenken. Sie war ihrem toten Bruder Vieri nachgebildet.
Stefano starb an einem Dienstag im Juni. Obwohl die Sonne an diesem Tag so hoch stand, dass ihr gleißendes Licht die Haut zu verbrennen schien, wenn es durch die klare Luft wie durch eine vollständige Leere fiel, der Leere des Weltalls nicht unähnlich, obwohl es sehr warm, fast heiß war, ließ das Meer die frühen Badenden frösteln. Sein grünes Wasser erinnerte an die langen Regen des Frühjahrs, die schaumigen Kronen der Wellen an den Schnee, der im Winter die Gipfel der Apenninen überzogen hatte und mit den Geröllhalden der Bergwerke zu einer bizarren winterlichen Landschaft verschmolzen war. Und doch, trotz dieser Eiseskälte - die einem den Atem nahm, wollte man es den wenigen Deutschen gleichtun und sich ins tiefere
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