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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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später. Und wenn ich sterbe, dann sterbe ich zu spät. Bestimmt nicht zu früh.“ Abwesend berührte er die Narbe auf seiner Schulter. Sein Blick ging über den fast leeren Strand. Mit der Routine der Jahrzehnte prüfte er die Aufstellung der Schirme, der Liegestühle, die hellblaue Farbe der Umkleidekabinen und die Körnung des Sandes. In Gedanken war er jedoch woanders. „Wo ist Pierino?“
    Marietta sah hinauf in den wolkenlosen, dunkler werdenden Himmel. „Irgendwo dort oben. Er hat heute Dienst, glaube ich.“
    „Grüß ihn von mir.“ Leise summte er sein Lied vor sich hin. Vorsichtig, als entfalte er etwas Kostbares, zog er die Badekappe auf. „ Ciao, Marietta, ciao, bambina .” Ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen, ging er mit kleinen Schritten aufs Meer zu.
    Eine Weile sah Marietta ihm nach, dann schüttelte sie den Kopf und seufzte. Erst viel später lief sie zum Restaurant hinauf, um Hilfe zu holen.
     

8 . Kapitel
     
    An Vieris letztem Tag war Maximilian von Kampen schon früh im Krankentrakt des Hochsicherheitsgefängnisses eingetroffen. Er hatte den ganzen Tag dort verbracht. Er hatte seinem Sohn beim Schlafen zugesehen, und wenn Vieri nicht schlief, hatten sie geredet oder Musik gehört. Erst abends, erst bei Laura, hatte sich Maximilian über die ruhige Friedfertigkeit gewundert, die ihre Stunden begleitet hatte. Entspannt, fast heiter war dieser Tag vergangen.
    Am späten Vormittag hatte man sie sogar ins Freie gelassen.
    Das Gefängnis lag auf der Kuppe eines Hügels. Die Krankenabteilung war wenig mehr als ein flacher Anbau auf der Rückseite der Anlage. Hier, im Südwesten, fiel der Hang schneller ab, als auf der anderen Seite, und die Betonmauer, die auf der Fahrt zum Haupttor mit ihren Türmen und Plattformen an einen Festungswall erinnerte, schien weit entfernt, schien klein und überwindbar. Man konnte sogar über sie hinweg ins Tal schauen, auf die Weinberge, die die Hügel ringsum überzogen, auf die zerfallenden Dächer der Weingüter.
    Er möchte die Sonne sehen, hatte Vieri bei seinem Eintreffen gesagt, trotz seiner leisen Stimme unmissverständlich, und sie hatten seinem Wunsch entsprochen. Ein Rollstuhl war gebracht worden, und als ihn Maximilian hineingehoben hatte, war er über die Leichtigkeit erschrocken, mit der er seinen Sohn tragen konnte.
    Im Gegensatz zur Bestimmtheit seiner Forderung, stand das Erstaunen in Vieris Gesicht, als er ihn hinausschob. „Sie wollen mich loswerden“, murmelte er, „oder bestechen“.
    „Ja“, antwortete sein Vater, „die Sonne ist gefährlich“.
    Später als der Bodennebel sich aufgelöst hatte und der Himmel wolkenlos über ihnen hing, sah Vieri hinauf. Eine Weile folgte er mit den Augen dem Kondensstreifen eines Flugzeugs, der die graublaue Fläche lautlos in zwei Hälften teilte. „Einen Hubschrauber, eine Sprossenleiter, und wir könnten zu Mittag einen großen Teller Spaghetti zusammen essen. Wo bist du, Pierino? Wo ist tenente-colonello Tarabella, der Starpilot der Aeronautica Militare ?“
    “Einen gr oßen Teller Spaghetti könntest du auch hier haben. Ganz ohne Hubschrauber und Sprossenleiter”, sagte sein Vater.
    Es war still. Nur unten in den Weinbergen lärmten die Stare. Auf dem gegenüberliegenden Hügel hatte die Lese begonnen, und sie konnten die Erntehelfer beobachten, die sich langsam durch die Reben arbeiteten, die Wägen, die Zeile um Zeile weitergeschoben wurden und sich füllten.
    „Danke für die Platte.“ In einer Plastiktüte auf seinem Schoß lag die LP, die ihm Maximilian mitgebracht hatte. Die Folie raschelte, als Vieris Hand darüber strich.
    „Ich wusste nicht, dass du ein Beatles-Fan warst. Ich hätte eher auf die Stones getippt.“
    „Lennon.“ Vieris Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Ich war nie ein Rock’n Roller. Dafür war ich zu alt.“ Ein schwacher Wind war aufgekommen. Aus dem Kastanienbaum über ihrer Bank lösten sich die ersten welken Blätter. „Für das Bergwerk war ich zu jung, für den Krieg... Später war ich zu alt. Auch für das hier“ – er machte eine unbestimmte Geste – „bin ich eigentlich zu alt. Es ist merkwürdig, immer war ich zu jung oder zu alt.“
    „Vielleicht geht es uns allen so, vielleicht gibt es für nichts das richtige Alter.“
    Vieris Augen waren weit geöffnet. Er saß auf seinem Rollstuhl, den Maximilian neben die Bank geschoben hatte, und starrte ins Leere. Sein Vater betrachtete ihn von der Seite. Zum ersten Mal sah er einen alten Mann.

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