Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)
die Augen. Ihm war immer noch schwindlig. Übelkeit stieg in ihm auf. Er war so müde, dass er meinte, jeden Augenblick einzuschlafen. Ohne die Kälte zu spüren, legte er den Kopf auf die Steinplatten.
Irgendwann wurde er ruhiger. Das Rauschen in seinen Ohren verstummte, und sein Kopf wurde klar.
Dann hörte er die Stimmen. Sie drangen aus dem Wohnzimmer, helle Frauenstimmen, die wie Schwalben in seinem Kopf weiterflogen, und Männerstimmen, wie aus bauchigen Musikinstrumenten. Es waren viele Stimmen, und er wunderte sich ein wenig, sie erst jetzt zu hören. Er stand auf, leicht, sprang fast auf die Beine, wie er es in seiner Jugend getan hätte, und öffnete die Tür.
Alle waren sie da. Ungläubig sah er in die Runde. Sein erster Blick fiel auf Laura. Sie saß am Kopfende des Tisches und lud ihn ein, sich auf den freien Stuhl neben sie zu setzen. Am anderen Ende saß Vieri, sein Sohn, ebenfalls lächelnd. Dazwischen Piero und Maria. Stefano drehte sich um und nickte ihm zu. Neben ihm saß Gina. Selbst Gianluca war da, bleich und finster wie immer. Matteo, der rauchend trank, Vittoria in einem luftigen weißen Kleid. Schüchtern ging Maximilian auf sie zu.
Als Maximilian von Kampen schließlich gefunden wurde, schien er zu schlafen.
Annalisa kniete sich neben ihm. Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn, fühlte an seinem Hals nach dem Puls. Sie sah auf: „Mein Gott, ich glaube, er ist tot!“
Nein, er war nicht tot, er lächelte unsichtbar, einige Augenblicke hatte er noch.
Zum Schluss
Ein Roman ist nicht notwendigerweise der historischen Genauigkeit verpflichtet. Und so wird jemand, der sich die Mühe macht, die eine oder andere Angabe nachzuprüfen auf manch eine Ungereimtheit stoßen. Beispielsweise wurde der große Monolith nicht im Sommer 1925, sondern im Herbst 1928 gefunden. Der Autor sieht seine Aufgabe jedoch darin, zu verdichten, die Wirklichkeit so zu bearbeiten, dass sie kenntlich wird. Deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, Begebenheiten und Personen zusammenzuführen, die vormals getrennt waren, Ereignisse und Handlungsträger zu verändern oder gar zu erfinden. Und doch gibt es das Stück Land, das im Mittelpunkt dieser Geschichte steht, es gibt die Marmorberge, und es gibt ihre Arbeiter. Und auch die Geschehnisse während der nationalsozialistischen Besatzung sind nicht fiktiv, so gerne der Leser oder der Autor es hätte.
Vieles, was ich über diese Zeit weiß, verdanke ich Oscar Lalli, meinem Großvater väterlicherseits, der einige Bücher über seine Erlebnisse als Politischer Kommissar einer Partisanenbrigade hinterlassen hat. Und so ist Stefano auch ein wenig Simone, das war der „Kampfname“ Oscars, auch wenn dieser in der Wirklichkeit nicht die Bürde von dessen Vergangenheit getragen hat.
Auch Vieri hat es gegeben, jenen Testflieger der Königlichen Italienischen Marine, der im Sommer 1919 ins Meer stürzt und dessen Foto meine Kindheit und Jugend begleitet hat und noch heute auf der Kommode meiner Mutter steht. Eine Gestalt, die die Phantasie beflügelte, die träumen ließ.
An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Bruder für seine Unterstützung bedanken. Ich bin auch Gian Franco Vené zu Dank verpflichtet. Sein dreibändiges Werk über den Alltag der Menschen im Italien des letzten Jahrhunderts ist unglaublich reich ( Mille Lire al mese , Coprifuoco , Vola colomba ). Vené versteht es, Geschichte lebendig zu machen. Einiges, was über die Zeit vor und nach dem zweiten Weltkrieg zu lesen ist, wurde von dieser Lektüre inspiriert.
Der Leser, der mehr über die Hintergründe meines Romans erfahren möchte, ist aufgefordert, meine Internetseite zu besuchen: http://www.lalli.de .
Heidelberg, September 1999 – Februar 2002
Andere Bücher des Autors:
Die Himmelsleiter
Ein Wissenschaftsthriller
Der Schweizer Physiker und Nobelpreisträger Massimo Altomonte kommt bei einem mysteriösen Unfall ums Leben. Thomas Heilant, ein Journalist und früherer Weggefährte Altomontes, begibt sich nach Genf, um die Umstände seines Todes aufzuklären. Im Zuge dieser Ermittlungen gerät er selbst immer mehr ins Zentrum des Geschehens.
Was sich schließlich in einer Nacht Ende Dezember 1989 in der Schweiz erfüllt, hat seinen Anfang mehr als zwanzig Jahre zuvor in Heidelberg genommen. Auf der Suche nach einem eigenen Weg zwischen dem politischen Radikalismus der einen und dem fanatischen Forscherdrang der anderen, gelingt es dem Ich-Erzähler letztlich nicht, sich
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